Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
als jeder andere hätte lieben sollen, sein wahrer Vater, zugleich derjenige war, der ihn weggeschickt hatte.
Und während er weiter in den Abgrund glitt – eine Reihe von Schatten aus seinem eigenen ewigen Albtraum –, erkannte Tahn, dass er sich, obwohl er nun die schreckliche Wahrheit über seinen leiblichen Vater kannte, immer noch nicht an das Gesicht der Frau erinnern konnte, die ihn zur Welt gebracht hatte. Sogar jetzt noch blieben Geheimnisse.
Tahn schrie erneut auf. In seinem Herzen rangen Zorn, Enttäuschung und Trauer miteinander. Er war ein Werkzeug gewesen. Nur darum war es in seinem ganzen Leben gegangen. Die Tage seit seiner vergessenen Kindheit, die Tage in Helligtal, hatte er durchleben und in Erinnerung behalten dürfen. Aber sie waren nur Tarnung, um den Zweck zu verhüllen, von dem Vendanji und Grant annahmen, dass er ihn eines Tages würde erfüllen müssen und zu dem er aus der Gesellschaft derer entfernt worden war, die ihn hätten lieben sollen.
Aber sein Herz weinte auch um den Verlust der Erinnerungen an das Leben und die Familie, die er für seine eigenen gehalten hatte. Um Balatin, Voncencia und Wendra. Ihretwegen brach es ihm am meisten das Herz. Aufgrund der Dinge, die man seinem Kopf über den Allwillen eingeflüstert hatte, war er nicht einmal in der Lage gewesen, sie zu beschützen. Die Schuldgefühle und Qualen hätten eigentlich eher diesen abscheulichen Beistehern gebührt, die sich an diesem entlegenen Ort über ihn beugten. Hätte er doch nur diesen Preis auf sie übertragen können, wie die Velle es mit ihrer schurkischen Kunst taten! Er wusste jetzt, dass der Sheson einen Schleier übe r seine Erinnerung gebreitet hatte, der dafür gesorgt hatte, dass er alles vergaß, was vor seiner Ankunft in Helligtal geschehen war. Zugleich wusste er, dass der Sheson etwas mit Wendras Gedächtnis angestellt hatte, da sie Tahn doch für ihren Bruder hielt.
Ins dunkle, unnachgiebige Gestein der Saeculoren hinein brüllte er: »Wer bin ich? Wer bin ich!«
Er fragte sich, ob die seltsamen Männer mit den fremden Wappen, die er auf Balatins Beerdigung gesehen hatte, zu den Verschwörern gehört hatten. War sein echter Vater da gewesen und hatte sich ihm doch nicht vorgestellt?
Während er bittere Tränen in die Felsspalten weinte, wurde Tahns Zorn zu Hass, und er beschloss, dass es ihm gleichgültig war. Er hoffte, dass Grant für immer im Mal bleiben würde, wo die Sonne und die Leblosigkeit ohne Unterlass auf ihn einbrennen konnten, bis die Zeit an ihm vorüberging.
Bis auf die Kleinen in der Wiege … an die er sich mit schmerzlicher Klarheit erinnerte. Sogar jetzt noch hörte er die Schreie der Säuglinge, die er gehalten hatte, während Grant und er ein Zuhause für sie gesucht hatten.
Dann sprach der Sheson: »Es gab viele Gründe dafür, dass Grant uns begleiten musste, Tahn. Aber einer ist der wichtigste davon: Er ist dein Vater. Hör dir an, was er zu sagen hat.«
Tahn starrte böse zu dem Verbannten empor.
Grant erwiderte seinen Blick mit schwer zu deutender Miene. »Tahn, du erinnerst dich jetzt, dass du mit mir im Mal gelebt hast. Zehn Jahre lang hast du dort geübt, bevor ich dich fortgesandt habe. Ich könnte dir sagen, dass es dazu diente, dir ein besseres Leben zu verschaffen, und das wäre keine Lüge. Aber es ist auch nicht der wahre Grund, denn ich hätte dich auf jeden Fall dorthin geschickt.« Der Verbannte sah zu Vendanji hoch und fuhr dann fort: »Früh in deinem Leben, Tahn, wurde deutlich, dass du über eine besondere Begabung verfügst. Es besteht ein gewisses Band zwischen dir und dem Allwillen, so dass du manchmal Dinge spürst, die kein anderer wahrnehmen kann. Nicht immer, und nicht unter allen Umständen, zumindest nicht, als du noch ein Kind warst. Aber mit der Zeit verstärkte sich diese Fähigkeit. Ich wusste, dass ich das sogar im Mal nicht vor denen würde verbergen können, die es darauf abgesehen hatten, deine Gabe zu missbrauchen oder dich sogar zu töten … wie die Stille es nun versucht. Deshalb habe ich dich nach Helligtal geschickt. Es wurde einst von den Ersten auserkoren – geheiligt –, um als sicherer Zufluchtsort vor der Stille zu dienen. Ich dachte, dass du dort in Sicherheit sein würdest, besonders in der Obhut meines engsten Freundes … Balatin Junell.«
Eine neuerliche Welle der Verzweiflung schnürte Tahn Brust und Kehle zu, und er unterdrückte weitere Tränen. Grant versuchte, ihn zu berühren, um ihn zu trösten, aber Tahn
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