Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
aber ich bin kein König. Unser Land hat nie etwas anderes gekannt als den Frieden des Säens und Erntens. Wir leben unser Leben schon so lange im Kreislauf des Anbaus, wie es Menschen in Risill Ond gibt, aber wir hatten einst so etwas wie ein Königshaus, und als das Große Mandat einberufen wurde, rief man sich einen sehr alten Eid ins Gedächtnis. Meine Vorfahren hatten diese Versprechen abgelegt, als es bei uns noch einen Palast und Höflinge gab. Ich wäre lieber wieder auf meinem Acker und bereue es sehr, nach Decalam gekommen zu sein.«
Sutter nickte zustimmend. »Ich heiße Sutter. Ich kenne mich selbst mit der Erde aus.«
»Dann siehst du vermutlich auch ein, was für eine sinnlose Verschwendung diese ganze Angelegenheit ist.«
»Ich weiß nicht. Aber wenn du es so einschätzt, warum bist du dann überhaupt hergekommen?« Sutter betastete sein zugeschwollenes Auge.
»Wir waren dazu verpflichtet. Ich war dazu verpflichtet. Als vor langer Zeit der Zweite Eid abgelegt wurde und man von uns verlangte, dem Ruf zu folgen, zogen meine Vorfahren aus. Aber wir hatten keine Armee, und so wurde abgestimmt. Unsere unverheirateten Männer, die den Wandel schon erlebt hatten, wurden einberufen. Sie marschierten nach Decalam, ausgerüstet mit den einzigen Waffen, die sie kannten: mit Sensen. Deshalb erhielt das Aufgebot aus Risill Ond den Namen ›die Schnitter‹. Sie zählten zu den wenigen, die sich an der Seite der Männer aus Decalam ins Getümmel stürzten, und zur Erfüllung unseres Eides schworen wir, dem Ruf aus Decalam zu folgen, wenn er je wieder erfolgen sollte. Er erfolgte. Aber da wir in Risill Ond nicht die Traditionen eines Herrscherhauses pflegen, gab es keine besonderen Kleider, die man hätte anlegen können, und keine Fahne. Meine Mutter hat unser Wappen auf einen alten, fadenscheinigen Teppich gestickt.« Thalens Stimme verriet keine Beschämung. »Als wir hier ankamen, wurde ich sofort von irgendeinem Ligaten festgenommen und verhört. Aber es war nicht nur eine vorschriftsmäßige Überprüfung oder reine Besorgnis, welche Laster wir vielleicht pflegen. Die Liga hat es darauf abgesehen, ihren Einfluss auf Risill Ond auszudehnen. Da man mich ins Gefängnis geworfen hat, ist unser Land nun quasi unbesetzt, und das bedeutet, dass auch unser Sitz im Rat unbesetzt bleibt. Die Liga wird Anspruch darauf erheben, und dann wird eine Abordnung der Edukation in unsere Lande vorrücken – das konnten wir bisher vermeiden.«
»Wie ist euch das gelungen?«, fragte Sutter.
»Das habe ich dir doch schon gesagt. Wir haben keine Paläste. Kein Königshaus. Wir sind ein kleines, abgelegenes Land. Allerdings sind die Schnitter für die Standhaftigkeit bekannt, die sie an den Tag gelegt haben, als der Zweite Eid gebrochen wurde. Also haben wir aus Gründen der Tradition einen Sitz im Rat. Die Liga versucht, so viele Stimmen auf sich zu vereinen, wie sie nur kann, damit sie, wenn das Mandat zusammentritt, ihren eigenen Ehrgeiz befriedigen kann. Die Regentin …« Thalens Tonfall wurde sanfter. »Es wäre ihr Ende, wenn ihnen das gelingen würde.«
»Wir müssen es irgendjemandem erzählen!«, rief Sutter.
»Wem? Den Wachen, die uns verprügeln? Oder den Spielleuten hier, die uns Gesellschaft leisten?«
Sutter sah zu der Truppe hinüber, die im Dunkeln Thalens Geschichte zu lauschen schien. Dann wandte er sich wieder Thalen zu, und der Zorn sprach deutlich aus seiner Stimme, als er sagte: »Ich verstehe einfach nicht, wie sie dich hier festhalten können.«
Der junge Mann lachte erneut. »Darin besteht die Ironie. Sie haben mich angeklagt, ein falscher Prätendent auf den Ratssitz von Risill Ond zu sein. Sie haben meine selbstgemachte Fahne und meine schäbigen Kleider angesehen und davon ausgehend ein Urteil über mich gefällt.«
Sutter kochte vor Zorn. Es half nicht, dass dieser Bursche das, was geschehen war, so gelassen hinnahm.
Thalen sprach weiter, und nun wurde sein Tonfall traurig und bekümmert. »Ich wäre gern wieder auf meinen Feldern, um den Morgentau auf den Pflanzen und auf dem Boden zu riechen, die Erde zu beackern und im milden Sonnenschein auf die endlosen, fruchtbaren Felder hinauszusehen. Das ist mein Hof … Ich bin kein König.«
Die Worte nahmen Sutter einen Teil seines Zorns, als er wieder an sein eigenes Zuhause und seine Eltern dachte. Sein Abenteuer hatte ihn in die Tiefen eines dunklen Kerkers geführt, und doch erinnerte sein erster Gedanke an Helligtal ihn nicht daran, dass er
Weitere Kostenlose Bücher