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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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war bleich, aber friedlich, und das kleine Mädchen, in dessen zarten Zügen eine verheißungsvolle Zukunft für immer erstarrt war, so vor sich zu sehen … Mira kämpfte gegen wachsende Wut an, die hervorzubrechen versuchte.
    Der Zeitpunkt dafür würde kommen.
    Jetzt erwies sie dieser Kleinen Ehre, indem sie ihr die Fürsorge und Aufmerksamkeit angedeihen ließ, die sie verdient, aber zu Lebzeiten nie erfahren hatte. Mira dachte an ihre eigene Mutter – ihre leibliche Mutter –, an deren Gesicht sie sich nicht erinnern konnte, und fragte sich, welche Vorsehung sie davor bewahrt hatte, das gleiche Schicksal zu erleiden wie das Kind, das jetzt in ihren Armen lag.
    Dass ein kleines Leben aus welchem Grund auch immer so im Stich gelassen worden war, ließ Miras Brust schmerzen und die Entscheidung, die sie jenseits von Decalam erwartete, zu einer schweren Bürde werden, zumal die Wahl, vor der sie stand, sich vielleicht auf den Erfolg des letztendlichen Plans des Sheson auswirken würde.
    Der Blick auf die unerfüllte Verheißung dieses kleinen Mädchens befeuerte Miras Tatendrang, ließ aber zugleich die Erkenntnis, welchen Weg sie einschlagen sollte, in noch weitere Ferne rücken. Nur eine Gewissheit erfüllte sie unter der unbarmherzigen Sonne des Mals angesichts des reglosen Körpers der Kleinen: Wenn sie ihr Leben hätte opfern können, um diesen Säugling zu retten, hätte sie es getan.
    Als das Kind zur letzten Ruhe gebettet und die Erde wieder in die Grube geschaufelt war, blieben die vier einen Moment lang in der Stille stehen. Im Anschluss stieg Grant aufs Pferd. »Dir steht ein Zyklus meines Lebens zur Verfügung, Sheson. Dann werde ich zu diesem Baum zurückkehren. Kein einziges Leben soll hier mehr verloren gehen, weil ich nicht da war, um es in Empfang zu nehmen.«
    Dann sprengte er nach Osten davon und überließ es den anderen, ihn einzuholen. Mira und Braethen stiegen auf, aber Vendanji blieb noch einen Moment lang stehen.
    Der Sheson sah auf den kleinen Erdfleck hinab, der sich leicht über den umgebenden Boden erhob. In der Ödnis dieses unwirtlichen Ortes hatten sie ein Leben zur letzten Ruhe gebettet, das ein unnatürliches Ende gefunden hatte. Die Hoffnung und der Lebensweg, die dem Kind bestimmt gewesen und ihm feige und boshaft entrissen worden waren, brachten die Empörung des Sheson zum Vorschein.
    Ein hilfloser Säugling, nur um eine Botschaft zu übermitteln …
    Vendanji zitterte vor Eifer, etwas zu unternehmen. Die abscheuliche Tat durfte nicht ungestraft bleiben.
    Aber das würde warten müssen, bis er das nächste Mal der Stille begegnete. Die Hilflosigkeit, das Bild vor seinem inneren Auge, wie ein Säugling unverhofft von dieser Viper gebissen wurde, vor Schmerz und Verwirrung aufschrie und verzweifelt des Trostes bedurft hätte, den er gesucht und verdient hatte, indem er auf die Welt gekommen und in dieses Leben getreten war … Vendanji fiel auf die Knie und weinte stumm. Alles war so bitter, dass es ihm die Kraft und den Willen, weiterzureiten oder auch nur aufzustehen, raubte.
    Was ging in der Seele derjenigen vor, die Quietus dienten, dass sie so etwas taten? Er konnte es nicht nachvollziehen. In diesem Augenblick erhaschte Vendanji einen Blick auf die Schrecken, die dem ganzen Menschengeschlecht für den Fall bevorstanden, dass der Schleier zerriss. Jetzt verstand er genauer als je zuvor, was die Geschichtsbücher als »die Ausweisung« bezeichneten: Die Väter hatten den Weißen und seine Gräuel vor der Welt verborgen.
    Es konnte keine Aussicht auf Größe geben, keine darauf, sein Leben der Aufgabe zu widmen, diese Welt zu einem Ort zu machen, der der Schöpfung würdig war, wenn der Lebensodem einem Kind schon genommen wurde, bevor es lange genug gelebt hatte, um auch nur diese Verheißung zu erfahren.
    Die Verzweiflung durchloderte ihn, und der Sheson hob den Kopf und schrie den ganzen Schmerz seines Herzens in den blassblauen Himmel empor. Während der Klang noch über der harten, unfruchtbaren Ödnis des Mals widerhallte, rammte Vendanji die Hände ins Grab des Säuglings, sprach die Worte, die sein Herz ihm eingab, und verlieh so für immer diesem Landstück einen Teil seines Geistes.
    Sofort sprossen Gras und Blumen aus dem Grab hervor und verbreiteten ihren Lebensduft im Tal der Wiege, die dem Kind den Tod gebracht hatte.
    Als das Brennen seiner Trauer sich langsam legte und das letzte Echo seines lauten Schreis verklungen war, zog Vendanji die Hände aus dem nun

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