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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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teilten.
    Tahn überlegte. Wenn er dem Mann erzählte, was er getan hatte, würde der Bursche vielleicht wissen wollen, warum er so gehandelt hatte, und was hätte Tahn dann sagen sollen? Aber er hatte im Dunkeln einer stinkenden Zelle bereits eines gelernt: Man hörte die Wahrheit, weil es nichts gab, was einen von ihr ablenken konnte. Tahn spürte, dass in diesem Kerker, in dem Schulden beglichen wurden, Geheimnisse wie Beichten waren.
    Tahns Zellengenosse brach das Schweigen. »Du schämst dich vielleicht für deine Tat«, sagte die Stimme mit zweifelndem Un terton, »oder du machst dir womöglich Sorgen, dass ich meine r seits der Spitzel sein könnte, der nur hier ist, um dich über dein e Pläne auszuhorchen. Oder du denkst sogar, dass ich einfach kein Verständnis dafür haben kann.« Der Mann hielt inne; Luft zischte durch seine Nasenlöcher. »Du solltest darüber nachdenken, was für ein Mann sich freiwillig bereiterklären würde, sich so lange neben einem Haufen seines eigenen Unrats anketten zu lassen, nur um einen Gefangenen zu verhören. Über welche Schande könnte ich mir hier ein Urteil erlauben? Und was das Verständnis betrifft, mein Sohn, musst du mir glauben, dass meine Tage hier für mich auf eine Art lehrreich waren, die Gelehrten nie zugänglich sein wird.« Er lachte sanft. »Allerdings hätte ich gern auf diese Ausbildung verzichtet.«
    Tahn sagte immer noch nichts. Ein Dieb, ein Mörder – was für ein Missetäter dieser Mann auch sein mochte, Tahn glaubte nicht, dass er sich all die Vermutungen und Geschehnisse von der Seele reden konnte, die ihn seit seiner ersten Begegnung mit dem Sheson beschäftigten. Vendanji hätte nicht gewollt, dass er jemandem all das anvertraute. Und was würde ein Mann, der in einer Zelle festsaß, mit solchen Informationen anstellen, sobald er frei war? Tahn hob die Hand und berührte erneut mit der Narbe die Haut seiner unversehrten Wange.
    »Immer noch vorsichtig«, sagte der Mann anerkennend. »Dann zieh Folgendes in Betracht, mein junger Freund. Für mich wird es keine Begnadigung geben. Keine zweite Verhandlung vor dem Höchsten Gericht. Wenn ich meine Zeit hier abgesessen habe – und zwar lange Zeit, um mir alles gründlich heimzuzahlen –, werde ich mich meinem Tod stellen müssen und mich fragen, ob meine letzte Ruhestätte wohl noch kälter als dieses Steinbett sein könnte.«
    »Am Galgen?«, fragte Tahn.
    »Was auch immer man für angemessen hält«, sagte der Mann. »Wie du siehst, wird deine Geschichte, wie sie auch lautet, nie eine andere Menschenseele erreichen. Aber hier unten in diesem Gefängnis verschafft sie uns beiden vielleicht für ein paar Augenblicke Erleichterung.«
    Der ernste Unterton in der Stimme des Mannes traf Tahn unvorbereitet. Noch immer war jedes Wort, das der Fremde sprach, geduldig und gemessen, aber jetzt schwang eine gewisse Schärfe mit, die sich daraus ergab, dass er so lange der Finsternis und dem gleichgültigen Stein ausgesetzt gewesen war. Doch es war noch mehr als das. Tahn konnte seine Aufrichtigkeit hören. Es war dem Mann ernst damit, dass er eine Geschichte hören musste, die ihn an einen Ort jenseits der Wände dieser Zelle tragen konnte, und ebenso damit, dass irgendeine Nacht hier die letzte sein würde, die er auf dieser Welt schlafen würde, bevor er in den Tod ging.
    Dennoch fragte Tahn einfach: »Warum?«
    Aus der Dunkelheit ertönte ein Geräusch, als der Mann aufstand, und Tahn sah, wie sich ein Schatten nahe bei dem Lichtkegel erhob, der schräg durch das Fenster oberhalb der Stufen fiel. Ein vorgerecktes Kinn verriet Trotz. »Weil die Soldaten hier keine einfachen Gesetzesbrecher zusammenschlagen, deren Vergehen sich gegen einen anderen Bürger von Decalam richten. Und niemand, dem ein Einwanderer zum Opfer fällt, wird je in Ketten gelegt; die Lakaien, die als Gesetzeshüter dienen, empfinden zu viel Abscheu vor dem dreckigen Pöbel.« Er senkte den umschatteten Kopf, als könnte er Tahn durch die Dunkelheit sehen. »Ein junger Mann, der nach der Landstraße riecht, dessen Gesicht noch nicht lange ein Rasiermesser benötigt, der aber dennoch so viel Bosheit in seinen Peinigern aufstört wie du, mein Freund, ist jemand, der der Stadtwache selbst eine Wunde geschlagen hat, vielleicht gar der Liga, und das ist eine Geschichte, bei der die Wände dieser Zelle dahinschmelzen können, wenn auch nur für die Zeitspanne des Erzählens.«
    Tahn schluckte gegen die Schwellungen in seinem Mund an und litt

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