Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
einfache Liedchen mit der Stimme, die mein Vater mir gegeben hat.«
Belamae runzelte die Stirn und betastete die Stimmgabel auf seinem Schreibtisch. »Alles Wissen, Lernen und Singen beginnt mit Ehrlichkeit, mein Kind.« Er schlug die Stimmgabel am Tisch an. »Glaubt mir, jede Begabung kann an zwei Ewigkeiten rühren.«
Wendra erinnerte sich, dass der Ta’Opin in etwa das Gleiche gesagt hatte. Sie antwortete nicht, sondern starrte nur in ihren Tee und sah dort sich selbst und Tahn singen, während Balatin sie auf der Zither begleitete. Für den Augenblick unterdrückte sie jegliches Bedürfnis zu singen und auch schon den Gedanken daran.
13
Die Geschichte eines Dieners, Teil II
J a«, sagte Rolen mit ruhiger Standhaftigkeit. »Ich habe mich bewusst dazu entschieden, hier in den Eingeweiden des Solath Mahnus gefangen zu bleiben. Aber aus gutem Grund.« Der Sheson räusperte sich und begann von neuem zu erzählen: »Vor acht Jahren verhandelte der Rat von Decalam über ein neues Gesetz. Es wurde vom Volkstribun vorgetragen, aber davon ließ sich niemand hinters Licht führen: Die Exigenten hatten Unterstützung dafür zusammengetrommelt und nannten es einen Fortschritt der Zivilisation. Die Debatte dauerte nur zwei Tage, und als sie vorüber war, wurde das Zivilisierungsgesetz der Regentin gegen alle, die beim Lenken des Willens ertappt wurden, der Bibliothek des Gemeinsinns beigefügt.«
Gequältes Schweigen folgte.
»Beim Namen meines Vaters«, flüsterte Tahn schließlich.
»Man behauptete, dass jedes Lenken des Willens die Arbeiter faul mache und die Selbständigkeit untergrabe. Man verspottete uns und sagte uns nach, dass unsere Arbeit die bloßer Mimen wäre, die andere zu ihrem eigenen Gewinn oder um Macht und Ansehen zu erringen täuschen und zu ihren Zwecken hinters Licht führen. Manche nannten uns sogar Spione der Stille. Was dann folgte, traf mitten ins Herz dessen, was wir sind, breitete sich in der Stadt aus und besudelte sogar die Königreiche, die an Vohnce grenzen.« Tahn hörte Rolens Worten den Zorn an, obwohl er beim Sprechen kein einziges Mal die Stimme hob. »Die Schwerkranken mussten vor ihrer Zeit in die Erde zurückkehren. Der Schutz, den wir der Garde bieten konnten, durfte nicht mehr erfolgen. Kleine Scharmützel kosteten viele das Leben, die wir nicht verteidigen durften. Nur eine Handvoll Sheson blieben in Decalam. Wie schlecht wir behandelt wurden, nachdem das Zivilisierungsgesetz verkündet worden war! Anscheinend erweisen einem die meisten Leute nur aus Angst Respekt. Einige waren der Meinung, dass wir Decalam verlassen und an andere Orte ziehen sollten. Aber seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes werden die Dreiringe auf jeder Landstraße und in jedem Dorf gefürchtet. Misstrauen und Lügen verengen den Blickwinkel der meisten Menschen, denen wir begegnen. Um ehrlich zu sein: Ich nehme an, dass es schon vor dem Gesetz so war. Aber seitdem … Wir sind zum Dienen berufen«, fuhr Rolen stockend fort. »Manche von uns dachten, wir könnten es tun, ohne auf unsere Gabe zurückzugreifen. Und mit der Zeit wurde sogar unser Orden gespalten. Viele kämpften um Gerechtigkeit für andere, ohne die Gesetze des jeweiligen Landes zu achten. Um, wie sie sagten, zu dienen, indem sie das Richtige taten, selbst wenn es nicht legal oder moralisch vertretbar war. Für sie ließ sich das Schöpfen aus dem Willen nicht von ihrer Fähigkeit zu dienen trennen. Das Schisma im Orden hält bis heute an und vertieft sich sogar noch, während die Ablehnung bei denen wächst, denen der Orden zu helfen versucht hat.«
Bewunderung für Rolen keimte in Tahns Brust auf. »Du bist in Decalam geblieben, als die anderen gegangen sind.«
»Artixan auch.« Der Sheson schluckte, und Tahn wünschte, er hätte dem Mann etwas Wasser im Krug übrig gelassen. »Vor zwei Monaten kam ein junges Mädchen an meine Tür und bat mich um Hilfe. Sie heißt Leia, ist zwölf Jahre alt und hatte mir schon monatelang dabei geholfen, Lebensmittel im Bettlerviertel zu verteilen. Ich ließ sie ein und hörte zu, wie sie mich schluchzend anflehte, ihrer Schwester zu helfen, die, wie sie sagte, plötzlich sehr krank geworden war. Ich erinnere mich so lebhaft daran, weil es das erste Mal war, dass ich sie mit zerzaustem, verfilztem Haar sah; ihr Gesicht war verhärmt und schmutzig. Ich weiß nicht, warum, aber diese Dinge fielen mir in jener Nacht auf, als ich mich bereiterklärte, mit ihr zu kommen und zu helfen, so gut ich nur konnte.
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