Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
Unzufriedenheit machte sich in ihrer Brust breit. Doch Belamaes Blick blieb beharrlich, und Wendra wurde bewusst, dass sie den Quell der Musik sehen wollte, die das Wasser bewegte.
Der Weg konnte nicht mehr als zehn Schritt lang sein. Wendra seufzte und brach auf.
Als sie das Becken halb durchquert hatte, begann das Wasser um sie herum zu strudeln und wild zu tosen. Die kleinen Wellen türmten sich höher auf, und das melodische Schwappen des Wassers gegen den Stein wurde hektischer. Wendra sah nach unten, und ihr wurde sofort schwindlig. Sie blinzelte gegen das Gefühl an, und vor ihrem inneren Auge blitzte das Bild eines Baums als blendend weißes Relief vor einem mitternachtsschwarzen Hintergrund auf. Ihr verschwamm alles vor den Augen – Gegenstände und Menschen kamen in Sicht und waren dann nicht mehr klar zu erkennen. Sie beeilte sich, die andere Seite zu erreichen. Wasser spritzte über den Weg, als kleine Wellen über den Stein hereinbrachen. Wendras Fuß rutschte auf der glatten Oberfläche ab. Sie spürte, dass sie fiel, aber nur langsam, wie ein Blatt im Herbst, das zur Erde trudelt. Sie stürzte hintenüber ins aufgewühlte Becken und riss den Kopf gerade noch rechtzeitig herum, um zu sehen, wie das Wasser schwarz wurde. Es glitzerte dunkel, als wäre es mit Zorn und Verzweiflung angefüllt. Dann umfing das kühle Nass sie zärtlich. Das Wasser verschob sich bei ihrer Berührung und schlug Blasen, als ob es vor ihr fliehen wollte, seiner eigenen Natur aber nicht entkommen konnte. Sie sank tiefer, und ihr Kopf geriet unter die Wasseroberfläche. Die Art, wie das Wasser über ihr Gesicht hinwegspülte, fühlte sich anklagend an. Sie weigerte sich, die Augen zu schließen, und die Schwärze umfing sie. Die Musik verklang und wurde von der unnatürlich lauten Stille des Wassers verdrängt. Wendra hielt unwillkürlich den Atem an, verspürte aber nicht den Drang, die Umklammerung des Wassers rasch wieder zu verlassen. Sie berührte den Boden des Beckens; seltsamerweise trieben ihre Beine weiter oben und regten sich nicht, um sie zu retten.
So ist es also. Das Ende meines Liedes.
Dann zerrte Belamae sie in Sicherheit. In seiner durchnässten weißen Robe stützte er sie, während sie sich auf seinen klugen Blick konzentrierte. Die Schmerzen in ihrer Brust zwangen sie, flach und rasch zu atmen, während ihr die saure Galle in ihrem Magen bei jedem Einatmen übel werden ließ.
Bevor sie sich fing, hatte Wendra den Eindruck, dass aus Belamaes Miene entsetzliche Besorgnis sprach.
Aber warum? Seine Geheimnisse sind mir gleichgültig!
Als das Schwindelgefühl sich gelegt hatte, führte Belamae sie zurück durch die Tür und stützte sie, während sie die ausgedehnten Zwischengeschosse durchquerten und die vielen kleinen Treppen hinabstiegen, bis sie wieder in sein Arbeitszimmer gelangten, wo er ihr auf einen Stuhl half. Er ging kurz nach draußen und kehrte mit einer Wolldecke und einer Tasse warmem Pfefferminztee zurück. Nachdem er sie in die Decke gehüllt und ihr die Tasse in die Hand gedrückt hatte, setzte er sich selbst hin und musterte sie stumm, während sie versuchte, den Anblick und das Gefühl des dunklen Wassers vor ihren Augen zu verdrängen.
Nasse Haarsträhnen hingen ihr ins Gesicht. Sie spähte dazwischen hervor zu dem alten Mann hinauf, der Kinn und Wangen zwischen Daumen und Zeigefinger ruhen ließ. Sie hatte keine Lust zu reden, sondern wollte nur, dass er ihr erklärte, was gerade geschehen war.
Auf ihren fragenden Blick hin beugte der Lehrer sich vor und hob das Pergament auf, das Shanbe ihm gegeben hatte. »Unser Freund sagt, dass Ihr Lieder erschaffen könnt.« Belamae sah zwischen dem Notenblatt ihres Liedes vom Lagerfeuer an der Landstraße und der Komponistin hin und her.
»Wir singen in Helligtal alle unsere eigenen Lieder. Das ist ein Teil des Zyklus, alle …«
»Er meint keine Melodien, Kind«, unterbrach Belamae sie, »sondern Kompositionen. Versteht Ihr? Erschaffen .«
Sie wusste, was er meinte: den Vorgang, sich selbst durch Gesang zu heilen, das Feuer und den Schmerz in ihrem Brustkorb, die bedeuteten, dass sie die klagenden Verse eines aus ihren Eingeweiden hervorbrechenden Liedes aus sich hinauszwingen musste, die Art, wie Farbe und Schärfe aus ihrem Gesichtsfeld verschwanden, während alles zu Dunkel und Licht verschwamm. Das Zusammenfallen aller Dinge.
Wie das dunkle Wasser vor ihren Augen.
»Nein«, sagte sie, »ich weiß nicht, was er meint. Ich singe nur
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