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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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In den frühen Morgenstunden führte Leia mich durch verregnete, leere Straßen, und am Ende kamen wir zu einem bescheidenen Haus im Krämerviertel. Eine schwache Lampe brannte im Fenster, während der Rest der Straße dunkel war. Wir eilten in das Einraumhaus, in dem sich in den Schatten längs der Wände Kisten und allerlei andere Vorräte stapelten. Leias kleine Schwester, die erst vier Jahre alt war, lag auf einem Haufen alter Kleider und Lumpen in der Ecke beim Fenster. Ihre Eltern knieten bei ihr, beugten sich über sie, sprachen sanft auf sie ein und wischten ihr die Stirn mit einem feuchten Tuch ab. Ich erinnere mich noch an den Geruch nach Schimmel und feuchtem Holz; es regnete stetig an mehreren Stellen durchs Dach. Leias Zuhause war selbst nur einen Schritt vom Bettlerdasein entfernt. Ihre Familie rackerte sich hart auf der Straße ab, um über die Runden zu kommen. Bevor ich mir die Kleine näher ansah, vermutete ich schon, dass sie sich bei der Kälte und dem Regen in dem zugigen Loch ein Fieber zugezogen haben könnte. Ihr Vater schaute auf, als ich eintrat. Ich konnte seinem Gesicht die Besorgnis ansehen, und er setzte zu einem Kopfschütteln an. Aber über den fiebrigen Körper seiner Tochter hinweg legte seine Frau die Hand auf seine. Er sah die Frau an, dann sein kleines Mädchen. Nur einige Augenblicke lang tobte ein innerer Kampf in ihm. Ich sah ihn seufzen und nicken. Ich legte den Mantel ab und eilte an die Seite des kleinen Mädchens. Da bemerkte ich, dass der Mann sogar stumm weinte. Das ist die Art von Kummer, die Eltern kennenlernen, wenn ihre Kinder dem Tode nah sind … Ich habe das schon zu oft erlebt. Ich kniete mich hin, fühlte dem Kind die Stirn, um zu sehen, ob es Fieber hatte, lauschte seinem Atem und seinem Puls. Es war zu spät. Leias Schwester lag im Sterben, und ich konnte für sie nichts tun, wenn ich nicht gegen das Gesetz verstoßen und aus dem Willen schöpfen wollte, um sie zu retten. Dann erspähte ich etwas Vertrautes, das als Kissen halb unter den Kopf des Mädchens geschoben war. Ich schlug eine Falte des Gewands beiseite und sah das Emblem der Liga auf rostroter Wolle. Wenn es schon gefährlich war, beliebigen Männern, Frauen oder Kindern zu helfen, indem man den Willen lenkte, dann verzehnfachte sich dieses Risiko, wenn man einem Exigenten oder auch nur seiner Familie half. Da verstand ich den Ausdruck in den Augen des Mannes. Er war Ligat. Schon meine Gegenwart in seinem Haus stellte für ihn und seine Familie eine Gefahr dar, und wenn ich erst seiner Tochter half, indem ich aus dem Willen schöpfte … Mir war klar, was das Gesetz vorschrieb: Den Willen zu lenken hieß, dass ich dem Tode geweiht sein würde, wenn man mich ertappte. Ich verfluchte das Gesetz und versuchte zu verstehen, wie es einen Fortschritt der Zivilisation bedeuten konnte, das Mädchen sterben zu lassen. All die Argumente dafür, dass unser Orden die nötige Selbständigkeit untergrub und Faulheit bei den Bürgern auslöste, kamen mir so nutzlos vor wie verbrauchtes Kerzenwachs. Sie hatten den Hass und das Misstrauen den Sheson gegenüber in ein Gesetz einfließen lassen, das mich hierher, in dieses Gefängnis, bringen konnte.« Der Sheson schlug im Dunkeln mit der Faust gegen den Stein seines Kerkers. »Zur Strafe für das Verbrechen, ein sterbendes Kind zu retten. Ich wandte mich an den Vater, dessen Namen ich nie erfahren sollte, und wollte ihm erläutern, in welchem Zwiespalt ich steckte.« Rolens Keuchen ließ nach. »Ich sprach die Worte nie aus. Ich sah einfach das Entsetzen in seinen Augen angesichts der Vorstellung, sein kleines Mädchen sterben zu sehen. Seine Verzweiflung ging mir unter die Haut. Ich hatte schon zu viel Leid gesehen, das vermeidbar gewesen wäre, hätte es dieses Gesetz nicht gegeben. Und vielleicht würde es die Ansicht der Liga über die Berufung eines Sheson ja irgendwie zum Besseren verändern, wenn ich einem ihrer Mitglieder half. Also beugte ich mich nahe über die Kleine und legte ihr die Hände auf den Kopf. Ich sprach die Worte und rief Gesundheit aus dem Willen in den fiebrigen Körper des Kindes herab. Als die Kleine die Augen aufschlug, nahm ihre Mutter sie sanft in die Arme. Um das Kind herum streckte sie die Hand aus und berührte meine mit einem seltsamen Ausdruck von Dankbarkeit und Bekümmerung in den Augen. Ich verstand diesen Blick«, sagte Rolen voller Mitleid, »da die Frau wusste, dass ich mit dem, was ich getan hatte, vielleicht mein Leben

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