Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
Gemälde Schlachten dar. Auf manchen stand ein Mann oder eine Frau einsam vor einer schrecklichen Angriffswelle, auf anderen war es ein ganzer Chor. Aber auf jedem Bild sah Wendra, dass eine Seite mit Waffen anrückte, während die andere keine trug, sondern gewöhnlich mit offenem Mund in Singhaltung dargestellt war. In manchen Bildern lagen die Unbewaffneten von Kriegswerkzeugen durchbohrt am Boden, die weißen Roben vom launischen Muster strömenden Bluts besudelt.
Sie gingen durch eine weitere Tür und verließen die heimelige Wärme des Kirschbaumholzes zugunsten von vergleichsweise kühlem Marmor. Dann gelangten sie in eine große Gewölbehalle, in der ihre Schritte so klein wirkten wie in einer großen Höhle. Hier verliefen Querstreifen in Rot, Blau, Grün und einem Dutzend anderer Farben durch die glatten Steine. Wendra fühlte sich ans Spiel des Lichts auf der Oberfläche eines Sees erinnert, wenn man es von mehreren Schritt unter Wasser betrachtete. Vor ihnen, jenseits einer weiteren Tür, wurde die Musik noch lauter. Sie erhob sich nicht mehr nur wie ein melodiöses Summen aus dem Stein, sondern stürzte aus ihm hervor wie ein letztes Echo.
Sie gingen Stufen hinauf und durch kurze Zwischengeschosse. Die Decke erhob sich volle sechs Stockwerke über ihnen. Statuen traten an die Stelle der Ölgemälde, daneben auch große, breite Wandteppiche von vierfacher Mannshöhe mit verschlungenen Mustern, die mit offenkundiger Kunstfertigkeit gewebt waren. Tageslicht fiel durch Fenster, die hoch oben in die Decke eingelassen waren, und der Geruch nach Rosmarin und Wasser durchwehte die Hallen. Bald kamen sie an kleinen Wasserbecken vorbei, die in den Boden eingelassen und von niedrigen Bänken umgeben waren. In den Becken gestatteten flache Stufen es einem, die Füße ins Wasser zu tauchen, um sie zu entspannen. Warme Dunstschwaden stiegen von der Wasseroberfläche auf.
Links und rechts führten Türbögen in andere Gänge, die außer Sichtweite endeten. Der Schein der Kerzen, die in schlichten, aber eleganten schmiedeeisernen Haltern steckten, verlieh dem Marmor in diesen Gängen fast den Anschein von Fleisch.
Am Ende der Gewölbehalle gingen sie auf zwei in Kapuzenroben gekleidete Frauen zu, die neben einer weiteren Tür standen. Die Frauen verneigten sich, als Belamae sich näherte, und verharrten in dieser Haltung, bis die Tür sich hinter Wendra schloss. Jenseits davon erstreckte sich ein breiter Gang unter einer Decke, die sich nicht viel höher wölbte, als Belamae groß war. Am anderen Ende schien es keine Tür zu geben, aber ein Mann stand behäbig mit dem Rücken an der Wand der Sackgasse. Seine Lippen bewegten sich, und seltsame Beschwörungsformeln drangen aus seinem Mund hervor. Aber es war der Fußboden, der Wendra verstörte.
An beiden Enden des Gangs befanden sich zwei Schritt breite Estraden aus Marmor, aber zwischen ihnen erstreckte sich Wasser von Wand zu Wand. Das Becken war eingetieft wie diejenigen, an denen sie gerade vorbeigekommen war, und ein schmaler Weg führte hinüber zur Estrade am anderen Ende. Hier blieb der Lehrer stehen und betrachtete nachdenklich das Wasser und den Pfad hindurch. Das Wasser war nicht tief, aber Wendra spürte eine Warnung darin. Die Vibrationen, die Wendra schon im Stein wahrgenommen hatte, schienen im Wasser in unauffälliger Reaktion auf die Musik leichte Wellen zu schlagen.
Belamae trat an den Rand des Beckens und sah sich nach ihr um. »Ihr müsst es durchqueren«, sagte er. »Bleibt auf den Beinen und bewegt Euch langsam.«
»Kommt Ihr mit?«
»Falls Ihr die andere Seite erreicht, werde ich zu Euch stoßen.«
»Was meint Ihr damit – falls ?«
»Das Wasser ist nicht ganz, was es zu sein scheint.«
Wendra sah das Becken an. »Was ist darin?«
Der Mund des Lehrers verzog sich zu einem sonderbaren Ausdruck, der halb Lächeln, halb Stirnrunzeln war. »Spiegelbilder«, sagte er und nickte Wendra zu, loszugehen.
Warum wurde sie auf die Probe gestellt? Sie war nicht von sich aus hergekommen. Ein entfernter Teil von ihr war dem Mann noch dankbar dafür, dass er sie besucht hatte, als sie allein gewesen war und sich mit den Gedanken daran gequält hatte, einsam zu sterben und nicht mehr in der Lage zu sein, Penit zu beschützen, nachdem er aufgebrochen war, um Hilfe für sie zu holen. Aber dieser plötzliche Erwartungsdruck und die Notwendigkeit, Anforderungen zu genügen, über die sie noch nicht Bescheid wusste, belasteten sie. Eine vertraute
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