Das Gift der alten Heimat
Jungens?« entsetzte sie sich. »Wann war das? Sagt bloß nicht, am Abend?« Sie richtete dabei ihren Blick weniger auf Onkel Johann als auf Paul.
»Nur bis halb zehn, dann mußten sie ins Bett«, erwiderte Paul beschwichtigend.
»Und du?«
»Was ich?«
»Du hast doch die nicht im Hotel allein gelassen?«
»Aber Erna«, erwiderte Paul, der sich mehr und mehr in die Enge getrieben sah, »du weißt nicht, daß das ›Vier Jahreszeiten‹ und das Hofbräuhaus nur wenige Schritte voneinander entfernt liegen. Onkel Johann und ich wären im Bedarfsfalle jederzeit zur Stelle gewesen. Nicht wahr, Onkel Johann?«
Paul hatte das Gefühl, Hilfe zu brauchen, daher sein Versuch, Onkel Johann wieder in das Gespräch hineinzuziehen.
»Paul«, sagte Erna, »ich bin erschüttert!«
»Aber Onkel Johann –«
»Es geht nicht um Onkel Johann«, unterbrach sie. »Es geht um dich!«
»Ich sage dir doch, daß alles in Ordnung war. Es bestand nicht der geringste Zweifel, daß die sofort einschlafen würden.«
»Warum war das so sicher? Die hätten doch noch wer weiß was anstellen können!«
»Nein!«
»Wieso nicht?«
In seiner Bedrängnis antwortete Paul: »Trink du mal aus solchen Krügen Bier, dann weißt du das.«
»Waaas?« schrie Erna auf.
»Versteh mich nicht falsch«, sagte Paul, zu spät seinen Fehler erkennend. »Das war nur ein Liter.«
»Für jeden?!«
»Nein, für beide – und außerdem müßtest du mal sehen, wie schlecht die dort einschenken. Ein Skandal ist das! Frag mal einen Münchner! Nicht wahr, Onkel Johann?«
»Komm mir nicht damit, daß ich einen Münchner fragen soll!« rief Erna.
»Die wissen doch am besten Bescheid!«
»Ich weiß jetzt über dich Bescheid!« Erna lief es im nachhinein noch kalt über den Rücken, wenn sie an die Schutzlosigkeit ihrer Sprößlinge dachte. »Wenn ich das geahnt hätte, daß das passiert, wäre ich mitgefahren!«
»Hättest du es nur getan, dann wäre noch etwas ganz anderes nicht passiert.«
»Noch etwas ganz anderes nicht?«
»Eine Wahnsinnstat von Onkel Johann.«
Der rettende Einfall Pauls bestand darin, von sich auf Onkel Johann abzulenken, indem er von der Perlenkette anfangen wollte.
»Frag ihn doch mal«, fuhr er fort, »was er dir mitgebracht hat.«
»Mir?«
Johann zog ein längliches, flaches Päckchen aus der Tasche, daß in Geschenkpapier eingewickelt war. Er streckte es lächelnd Erna hin, die nur zögernd zugriff, und sagte dabei: »Wenn's dir nicht gefällt, kannst du es auch umtauschen.«
»Was ist das?« fragte Erna.
»Mach es auf, dann siehst du's.«
»Du wirst dich wundern!« ließ Paul sich vernehmen.
Erna löste die dünne goldene Schnur und das Papier von dem Päckchen, auf dem elegant gedruckt stand ›Juwelier David Elch, München – Paris – London‹.
Ernas Augen wurden groß. Sie sah Johann an, dann die flache Schachtel aus feinstem Leder und öffnete sie langsam. Eine prachtvolle Perlenkette lag vor ihr, deren Schließe gebildet wurde von einem großen Saphir, den zwei Reihen blitzender Brillanten umgaben.
Erna konnte erst einmal gar nichts sagen. Dann lieferte sie den beiden Männern einen Grund zur Belustigung, indem sie hervorstieß: »Die sind doch nicht echt?«
Zwischen Pauls Lachen und dem seines Onkels bestand allerdings ein Unterschied. Paul grinste sozusagen grimmig.
»Die hat der sich«, sagte er, mit dem Daumen auf Johann zeigend, »am Sonntag früh ins Hotel bringen lassen. Der Juwelier kam höchstpersönlich angetanzt. Denkst du, das hätte der mit unechten getan?«
Erna spürte, daß das, was sie tun mußte, sehr rasch zu geschehen hatte, weil ihr sonst die Kraft dazu verlorengehen würde.
»Nein!« sagte sie entschlossen, machte zugleich die Lederschachtel zu und streckte sie Johann hin, erzielte damit aber nicht den erwünschten Erfolg, denn Onkel Johann reagierte nicht.
»Bitte!« sagte Erna.
»Was heißt das?« fragte Johann. »Gefällt dir die Kette nicht?«
»Es geht hier nicht ums Gefallen.«
»Sondern?«
»Es ist unmöglich, daß ich sie annehme!«
»Was habe ich gesagt!« war Paul triumphierend zu vernehmen.
»Weißt du, was er gesagt hat?« fragte Johann, sich seiner Sache sicher, Erna.
»Was denn?«
»Daß dir Perlen grundsätzlich nicht gefallen.«
»Blödsinn!« entfloh es Ernas Lippen. »Eine solche Frau gibt's nicht!«
»Das dachte ich auch«, grinste Johann.
»Erna!« rief Paul warnend.
»Du kennst doch nur deine Werkstatt, Paul«, sagte sie.
»Merkst du denn nicht, daß der
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