Das Gift der alten Heimat
selbst hinunter in den Weinkeller und dann noch einmal hinauf in ihr Zimmer und nahm sich die Zeit, am Telefon ein Rundgespräch mit den Bekannten und Freunden zu führen.
»Wir haben Besuch«, flötete sie immer ungefähr dasselbe. »Mister Miller ist bei uns. Ja, Mister John Miller. Ein reizender Mensch. Was er will? Was wird er schon wollen? Chicago ist doch die Stadt mit den größten Schlachthöfen der Welt. Und wir haben eine Wurstfabrik. Damit will ich nichts gesagt haben, vielleicht irre ich mich auch. Allerdings glaube ich nicht, daß er gekommen ist, um mit meinem Mann über das Wetter zu sprechen. Wir kannten ihn doch bisher noch gar nicht persönlich. Die beiden stecken die Köpfe zusammen. Geschäfte sind Männersache. Ich kümmere mich um die Bewirtung. Ob er auch noch andere Besuche macht? Ich weiß es nicht. Es wird sich zeigen …«
Durch Rheinstadt ging ein Raunen. In den Häusern der Unternehmer gab es Szenen zwischen Ehegatten und Gattinnen, die ihren Männern vorhielten, daß sie sich von Hugo Mössle wieder einmal hätten überrunden lassen. Das würde in der üblichen Weise abfärben auf dessen arrogante, unmögliche Frau.
Neid machte die Damen blaß und gelb.
Unterdessen saßen sich Miller und das Ehepaar Mössle gegenüber in den tiefen Sesseln.
Waltraud hatte sich in ihr Cocktailkleid geworfen und girrte wie ein Täubchen.
Das Gespräch galt den politischen Beziehungen zwischen Europa und Amerika. Davon verstand Waltraud überhaupt nichts, aber sie sagte, daß sie in allem Mister Miller beipflichten müsse.
»Mein Besuch ist geschäftlicher Natur«, wechselte Johnny plötzlich das Thema.
»Selbstverständlich! Das haben wir uns schon gedacht!« Waltrauds Augen glänzten wie in jungen Jahren. »Ist der Ruf von den Erzeugnissen meines Mannes schon bis nach Amerika gedrungen?«
»Das gerade nicht.« Miller beachtete nicht mehr länger Frau Mössle, sondern sprach mit ihrem Mann. »Was mich herführt ist Ihr Auftrag an meinen Neffen Paul Müller.«
»Die Lampe?« Hugo winkte ab. »Unwichtig! Ich habe eine kleine Vorliebe für kunstgeschmiedete Gegenstände.«
»Ich auch.« Johnny Miller beugte sich vor. »Aber was würden sie davon halten, Herr Mössle, mal Ihr Herz dem Weißblech statt dem Eisen zuzuwenden?«
»Dem Weißblech?« Mössle staunte.
»Ja.«
»Ich verstehe Sie nicht …«
»Sehen Sie.« Johnny Miller holte aus der Tasche Papier und Bleistift. »Eine einfache Sache, Herr Mössle. Sie fabrizieren Dauerwurst und Frischwurst. Was Sie nicht produzieren, sind Wurst- und Fleischwaren in Konserven. Auch Delikateßartikel führen Sie nicht. Ahnen Sie, was ich Ihnen plausibel machen will?«
Mössle räusperte sich.
»Ja, aber das würde für mich einem Griff nach den Sternen gleichkommen. Ich müßte meinen ganzen Betrieb umstellen.«
»Nicht umstellen – nur erweitern!«
»Trotzdem!« Hugo Mössle stand auf und wanderte im Zimmer hin und her. »Das würde enormes Kapital erfordern. Soviel habe ich nicht.«
»Sie haben, wenn mich mein Instinkt nicht trügt, gar keines!« sagte Johnny Miller schonungslos, und Mössle errötete.
»Stimmt's?« fragte Johnny.
Mössle räusperte sich mehrmals, ehe er antwortete: »Gewisse Schwierigkeiten … oder sagen wir: einen momentanen Engpaß … will ich nicht bestreiten. Die Wirtschaftslage ist derzeit hier allgemein nicht günstig, wissen Sie.«
»Ich habe Kapital!« sagte Miller mit Nachdruck.
»Das wissen wir, Mister Miller«, flötete Waltraud Mössle zart.
»Wenn ich Sie recht verstehe, Mister Miller«, sagte Hugo Mössle, »wären Sie geneigt, in meinen Betrieb Geld zu investieren …«
»Nein!«
»Nein?« Die Enttäuschung bei Mössle war groß, auch bei seiner Frau. Betroffen blickten die beiden einander an.
»Wenn Sie Geld brauchen«, fuhr Miller fort, »werden Sie es sich bei meinem Neffen Paul Müller holen müssen.«
»Der hat doch selber keines, Mister Miller.«
»Er bekommt's von mir – und zwar genug!«
»Und warum würde er mich daran teilhaben lassen? Was würde ihn dazu bewegen?«
»Sein eigenes geschäftliches Interesse.«
»Wieso?«
»Weil es das Richtige für ihn ist, sich mit Ihnen zusammenzutun. Ich werde ihm das klarmachen.«
»Sie denken an eine gemeinsame Produktion von Wurst- und Fleischkonserven?«
»Ja.«
Hugo Mössle, der sich längst wieder hingesetzt hatte, stand noch einmal auf, um hin und her zu gehen.
»Mister Miller«, sagte er dabei, »Konservenfabriken gibt's aber schon jede
Weitere Kostenlose Bücher