Das Gift der alten Heimat
Gesicht zur Seite und sah Miller an.
»Sie wissen Bescheid?« erwiderte er.
»Ich habe Augen im Kopf.«
»Das ging aber schnell.«
Trenkler schaute wieder geradeaus auf den Weg und auf das Pferd, dem er die Zügel auf den Rücken klatschte. Prompt wollte sich der Gaul in Trab setzen, wurde jedoch vom Verwalter, der die Zügel sogleich wieder anzog, daran gehindert. Unwillig warf der Wallach den Kopf hin und her, so daß die Schaumflocken von den Nüstern ins Unterholz zu beiden Seiten des Weges flogen. Was soll ich denn nun? schien dies zu heißen.
»Hat der Baron mit Ihnen gesprochen, John?«
»Nein, Gerhard. Oder nur andeutungsweise«, korrigierte sich Miller ein bißchen.
»Die Lage ist aussichtslos, John.«
»Sagen Sie mir alles, Gerhard. Ich werde meinem Neffen nicht verraten, daß Sie mit mir darüber gesprochen haben.«
Der Verwalter stieß einen geringschätzigen Laut durch die Nase und erwiderte: »Das können Sie ruhig tun. Ich selbst nehme ihm gegenüber schon lange kein Blatt mehr vor den Mund.« Er seufzte, zuckte die Schultern. »Aber es hat nie etwas genützt. Und jetzt ist es zu spät.«
Miller wollte etwas sagen, doch ehe er dazu kam, brach es aus dem Verwalter heraus: »Dabei hätte Waldfels alle Chancen. Die Böden sind ausgezeichnet, teilweise sogar einmalig. Mir sind noch keine besseren untergekommen in meinem ganzen Berufsleben. Aus dem Gut hätte man wahrhaftig etwas machen können. Ein Mustergut! Aber alles, was ich versucht habe, wurde vom Baron torpediert. Er wollte nie Geld in den Betrieb hineinstecken, sondern immer nur herausholen. Er saugte das Gut aus, preßte den letzten Tropfen aus dem Vermögen seiner Eltern heraus. Und nun steht er vor dem Nichts. Ihm gehören heute nicht einmal mehr die Misthaufen hinter den Ställen. Sie werden von der bäuerlichen Genossenschaft als Dünger gepfändet werden.«
»Also am Ende?« fragte Miller.
»Total!«
»Wissen Sie, daß er mir den Schimmel, den er zuletzt gekauft hat, schenken will, Gerhard?«
Trenkler blickte wieder kurz Miller an.
»Will er das?«
»Ja.«
»Er ist verrückt!« Trenkler merkte, daß das taktlos gegenüber seinem Fahrgast gewesen wäre und setzte deshalb hinzu: »Verstehen Sie mich nicht falsch, John, ich gönne Ihnen diese Freude, aber in seiner Lage ist das heller Wahnsinn. So meine ich das! Alles ist Wahnsinn bei dem!«
»Wie hoch sind seine Schulden?«
»Mehr als eine halbe Million«, entgegnete der Verwalter. »Und das Schlimme daran ist, daß es sich zum größten Teil um keine langfristigen Verbindlichkeiten handelt. Wenn einer der Gläubiger will, kann er ihm morgen schon den Kragen abdrehen. Und es ist damit zu rechnen, daß das sehr, sehr bald geschehen wird.«
»Wissen Sie, was er dann macht? Soll ich es Ihnen sagen?«
Trenkler stieß verächtlich die Luft durch die Nase.
»Gar nichts kann er dann machen! Zusehen wird er müssen, wie alles versteigert wird!«
»Er wird sich erschießen, Gerhard.«
Der Verwalter riß die Zügel an sich und spaltete dem Wallach dadurch fast das Maul. Der Wagen stand.
»Hat er das gesagt?«
»Mit ziemlicher Deutlichkeit.«
»Vielleicht war's eine Übertreibung von ihm?«
»Ich fürchte nein, Gerhard.«
Trenkler verstummte. Er starrte dem Pferd auf den Rücken. Stille herrschte, wenn man davon absah, daß der Wallach auf den Boden stampfte.
»Wäre denn das so undenkbar?« fragte nach einer Weile Miller.
Trenkler schreckte auf.
»Undenkbar?« Er schüttelte den Kopf. »Undenkbar wäre es nicht, nein!« Er setzte noch eins drauf. »Die sind doch alle verrückt!«
»Wer?«
»Diese Brüder.«
»Die Adeligen aus dem alten Preußen?«
So deutlich wollte es der biedere Verwalter nicht gesagt haben. Er brummte etwas, das Miller nicht verstand, und trieb mit den Zügeln das Pferd wieder an, um die Fahrt fortzusetzen. Gar nicht weit voraus sprang plötzlich ein Reh über den Weg und erschreckte den Wallach so sehr, daß sich aus seinem Leib einige gewaltige Blähungen entluden. Pferden muß man das nachsehen, es gehört zu ihren sehr häufigen Lebensäußerungen.
»Was wollen Sie nun machen?« fragte Trenkler schließlich.
»Ich?«
»Sie sind doch sein Verwandter?« Trenkler räusperte sich. »Übrigens der einzige von allen, glaube ich, der einen Schuß Pulver wert ist.«
»Danke, Gerhard«, grinste Miller. »Und ich soll also, meinen Sie, rettend eingreifen?«
»Wer sonst?«
»Wie denn?«
»Mit Geld wär's am einfachsten«, entgegnete der Verwalter.
Weitere Kostenlose Bücher