Das Gift der alten Heimat
Dadurch kam Stolz zum Ausdruck. Adelige Arroganz war hier zwar völlig fehl am Platze, aber trotzdem klang seine Stimme herablassend, mit der er sagte: »Vielleicht fehlt dir dafür das nötige Verständnis, aber ein Baron Chowelitz macht kein Geschenk rückgängig. Und schon gar nicht eines, das er einem Verwandten zugedacht hat.«
Miller blickte den blaublütigen Taugenichts an. In seinem Inneren spielte sich etwas ab, mit dem er durchaus nicht einverstanden war, das er jedoch trotzdem nicht verhindern konnte. Da wurde nämlich eine gewisse, erste Bresche geschlagen.
»Dann nennst du mir den Verkäufer, und ich werde mit ihm verhandeln!« sagte Johnny.
»Wozu? Wenn du Erfolg hättest, würde das Geld für das Pferd trotzdem in deinem Besitz bleiben.«
»Du bist wirklich total verrückt!« regte sich Miller auf. »Du brauchst doch jede Mark!«
»Was ich brauche, lieber Onkel«, sagte Huldrich wieder von oben herab, »sind Beträge, verstehst du? Beträge – und nicht ein Tropfen auf dem heißen Stein!«
»Was hat das Pferd gekostet?«
Huldrichs Augenbrauen hoben sich.
»Ist das in Amerika üblich?«
»Was?«
»Daß man sich nach dem Preis eines Geschenkes erkundigt?«
Der treibt mich zum Wahnsinn, dachte John Miller. So was habe ich noch nicht gesehen. Dem steht das Wasser bis zum Hals – und was macht er? Er stößt mir die Nase auf Knigge – oder wie dieser olle deutsche Benimm-Onkel hieß!
Millers Grimm wuchs und führte zu einem psychologischen Fehlverhalten schlimmsten Ausmaßes, denn John sagte: »Du solltest dich nicht fragen, was in Amerika üblich ist, sondern sehen, wie weit dich deine Lebensführung gebracht hat.«
»Das weiß ich, Onkel Johann.«
»So, das weißt du? Seit wann denn?«
»Seit du hier bist.«
»Und wie weit hat sie dich gebracht?«
»Daß ich mich erschießen muß!« sagte Huldrich v. Chowelitz kalt.
Ein Wort hatte das andere gegeben, und nun war der Moment da, in dem Miller seinen schlimmen psychologischen Fehler beging, indem er ohne zu überlegen sagte: »Wenn du den Mumm dazu hättest!«
Der Baron erblaßte.
»Das wirst du ja sehen!« antwortete er kühl.
Und Miller lief es plötzlich kalt über den Rücken. Huldrichs Ahnen kamen aus dem versunkenen alten Preußen. Was hatte man über die merkwürdigen Leute von dort schon alles gelesen! Wenn das auch in ein amerikanisches Gehirn – oder in ein amerikanisiertes rheinländisches Gehirn – nicht hineingehen wollte, ernstgenommen werden mußte es trotzdem.
»Und nun lasse ich dir deine Räume anweisen, Onkel«, sagte der Baron, als wäre nichts gewesen. »Bitte komm …«
Das Telefongespräch, das er wenig später mit seiner Nachbarin, Evy v. Eibenhain, führte, begann er mit den Worten: »Es ist aus!« Dies sagte er nicht in dramatischer, pathetischer Form, sondern ganz ruhig und gelassen, und gerade das war etwas Neues an ihm, das in Evy große Beunruhigung auslöste. Sie hörte sich seinen Bericht an und spürte dabei, daß sie etwas tun mußte. Aber was? Sie faßte den Entschluß, sich möglichst rasch diesen Mann aus Amerika selbst näher anzusehen. Die Jagd fiel ihr ein, über die sie mit Huldrich gesprochen hatte. Und da sie eine willensstarke, zielstrebige junge Frau war, setzte sie sich noch in der gleichen Minute hin und schrieb folgenden Brief an den Mann, mit dem sie gern bekannt werden wollte:
›Sehr geehrter Mister Miller!
Mein lieber Nachbar, Baron v. Chowelitz, hatte die Freundlichkeit, mich von Ihrem Kommen zu unterrichten. Ich hoffe, Ihnen eine Freude zu machen, wenn ich Sie gleich für heute abend zu einer Nachtpirsch in meinem Revier einlade. Oder hat die Reise von Bochum hierher, Sie allzusehr ermüdet? Der Baron sagte mir, daß Sie ihm nicht diesen Eindruck gemacht hätten, Sie seien ein Mann von erstaunlicher äußerlicher und wohl auch innerlicher Spannkraft. Als ich das hörte, dachte ich mir, daß Sie vielleicht die Überlegenheit der sogenannten Neuen Welt über das alte, ausgebrannte Europa verkörpern. Mit anderen Worten: Ich wäre sehr neugierig auf Sie. Finden Sie mich nun unmöglich, weil ich das so frei heraus bekenne? Ich hoffe nicht. Bitte, geben Sie mir keinen Korb. Ich würde es mir zur Ehre anrechnen, wenn Sie in meinem Revier zum Schuß kämen.
Ihre Evy v. Eibenhain‹
Den Brief brachte ein reitender Bote in jägergrüner Livree und wallendem Federhut nach Gut Waldfels. Er salutierte zackig vor Miller, der sich darüber amüsierte, und überreichte ihm den
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