Das Gift der alten Heimat
jungen Mann.«
»Wen?«
»Meinen Neffen.«
»Wo lebt er denn? In Amerika? Wäre er bereit, herzukommen? Wie viele haben Sie denn?«
»Einen.«
»Soll das heißen, daß Sie von Huldrich v. Chowelitz sprechen?«
»Genau!« nickte John. »Sie sind ein kluges Kind – nicht nur ein hübsches – und begreifen sehr rasch, Evy.«
Die Baroneß lächelte.
»Was habe ich Ihnen angetan, John?«
»Wieso angetan?«
»Weil Sie auf meinen Ruin abzielen.«
Miller blickte in sein leeres Glas, hob es hoch, hielt es der Baroneß hin und sagte: »Einen noch, bitte.«
»Einen, ja«, nickte sie. »Dann wollen wir aber aufbrechen.«
»Können wir die Jagd nicht sausen lassen?«
»Warum?« fragte Evy überrascht.
»Ich hätte mich hier gerne mit Ihnen noch unterhalten.«
»Das ist doch auch draußen im Wald möglich?«
Eigentlich zum erstenmal, seit er mit der Baroneß sprach, wurde er ernst.
»Und wenn ich Sie darum bitte, Evy, daß wir den Bock, dem es an den Kragen gehen soll, am Leben lassen und Sie mich statt dessen durch Ihr Glut führen und mir alles zeigen.«
»Würde Sie denn das interessieren?« fragte Evy erstaunt.
»Sehr!«
Miller bekam von der Baroneß seinen merkwürdigen Wunsch erfüllt. Sein erster Eindruck, den er schon während der paar Schritte vom Jagdwagen bis zu der ihn am Eingang erwartenden Hausherrin gehabt hatte, bestätigte sich voll und ganz. Alles, aber auch alles war hier bestens in Schuß. Das Vieh war von hervorragender Qualität, die Wirtschaftsgebäude blitzten – und dies nicht erst in der Erwartung eines Besuches aus Amerika! John Miller sagte, als er von der Baroneß herumgeführt wurde, nur wenig, war aber innerlich voller Anerkennung und fragte zuletzt, während er mit ihr wieder die Freitreppe hinaufstieg und ins Haus hineinging: »Wer ist Ihr Verwalter, Evy?«
»Ich habe keinen.«
»Was?« stieß John hervor.
»Mein Verwalter bin ich selbst.« Der Stolz leuchtete ihr aus den Augen, und das war für John verständlich. Noch erlaubte er sich aber Zweifel.
»Sie machen das allein?«
»Ja – nur mit meinem Gesinde.«
»Das muß man aber können?«
»Ich kann's – oder haben Sie gesehen, daß irgendwo irgend etwas im argen liegt?«
»Nein«, erwiderte Miller achtungsvoll. »Ich muß Sie um Entschuldigung bitten …«
»Für was?«
»Dafür, daß ich Ihnen meinen Neffen schmackhaft machen wollte.«
»War denn das Ihr Ernst?« fragte Evy, als die beiden im Salon wieder Platz genommen hatten.
Millers Antwort klang zweideutig.
»Wenn es das war, ist es das jetzt nicht mehr.«
Es klopfte jemand an die Tür, und eine Bedienstete erschien, die meldete, daß während des Rundgangs der Baroneß und Millers durch das Gut, der Baron v. Chowelitz angerufen und gebeten habe, die Baroneß möge bei ihm zurückrufen.
»Huldrich, was gibt's?« fragte Evy, als sie ihn an der Strippe hatte.
»Ihr seid noch gar nicht im Wald, hat man mir vorhin am Telefon gesagt.«
»Nein – und wir gehen auch gar nicht mehr hinaus.«
»Warum nicht?«
Mit einem Seitenblick auf Miller erwiderte Evy: »Dein Onkel hat sich lieber Eibenhain angesehen.«
»So?« Huldrich räusperte sich. »Kannst du ihn mir bitte mal geben?«
»Ja.« Evy hielt Miller den Hörer hin. »Ihr Neffe will Sie sprechen, John.«
John? dachte Huldrich, als er dies durch den Draht hörte.
»Ja?« meldete sich Miller am Apparat.
»Onkel«, begann Huldrich, »du mußt mir verzeihen. Ich habe mich erst als es zu spät war, gefragt, wie du eigentlich nach Waldfels zurückkommen wirst. Deshalb –«
»Gerhard holt mich«, unterbrach Johnny.
»Welcher Gerhard?«
»Dein Verwalter.«
»Trenkler?«
»Ja, ich kann ihn anrufen, sagte er, egal wann. Ich werde das tun, dann ist das Problem gelöst.«
Evy? Gerhard? Ist denn der schon mit allen praktisch per du? dachte Huldrich.
»Onkel«, sagte er, »du wirst mich anrufen und nicht den alten Mann, der seinen Schlaf braucht.«
»Er hat gesagt, daß – Moment mal«, unterbrach er sich, da ihn Evy am Ärmel zupfte.
»Was will er denn?« fragte Evy ihn mit unterdrückter Stimme.
Er legte die Hand auf die Muschel.
»Ich soll mich von ihm und nicht von Trenkler abholen lassen.«
»Sagen Sie ihm, daß ich das mache.«
»Nicht nötig«, widersprach John. »Der Verwalter –«
Sie nahm ihm mit raschem Griff den Hörer aus der Hand und sprach in die Muschel: »Huldrich …«
»Ja?«
»Mach dir keine Sorgen, deinen Onkel bringe ich dir wohlbehalten nach Hause.«
»Aber
Weitere Kostenlose Bücher