Das Gift der Drachen Drachen3
abscheulich, dass es mir eiskalt den Rücken hinunterlief. »Wir ziehen das Wort ›befreien‹ dem Wort ›stehlen‹ vor.«
»Wie viele Weiler der Verlorenen in Malacar sind mit Chinion verbunden?«, erkundigte ich mich.
Der Messermann antwortete nicht. Dafür sprach jedoch Tansan.
»Die meisten Weiler sind einfache Ackerbaugemeinschaften. Einige wenige versorgen Chinions Lager mit Getreide und Nahrung, aber nach Chinions Angriff auf Brut Maht hat der Tempel etliche Weiler dem Erdboden gleichgemacht und alle Bewohner ermordet. Selbst die Alten wurden nicht verschont. Frauen und Kinder wurden vorher vergewaltigt. Chinion erbittet jetzt nichts mehr von den Weilern, und sie würden ihm auch nichts geben.«
»Getrennte Einheiten«, meinte ich.
»Um die Verlorenen zu schützen.«
»Die Verlorenen sollten über das, was in Malacar passieren wird, informiert werden. Sie sind für Vergeltungsaktionen des Tempels die einfachsten Ziele, ganz gleich, ob sie in die Geschehnisse verwickelt sind oder nicht.«
»Wir müssen dem Tempel so zusetzen, dass er die Weiler als unwichtig einstuft«, warf der mit den zwei Zöpfen ein.
»Die Weiler sollten trotzdem gewarnt werden«, entgegnete ich. »Wir wollen eine Zukunft für die Kinder dieser Nation schaffen und sollten das Blutvergießen so weit einschränken, wie es geht.«
»Dir gefallen unsere Methoden nicht«, warf der mit dem Messer ein.
Ich überlegte mir meine Antwort sehr genau. »Die Kinder der Bayen leiden ebenso unter Alpträumen und Trauer wie die der Rishi. Ich bin nicht sicher, ob das Massaker letzte Nacht notwendig war. Aber ich kann auch nicht beurteilen, ob es machbar gewesen wäre, jeden Bayen als Geisel gefangen zu nehmen. Was geschehen ist, ist geschehen. Wenn wir das Blutvergießen in Zukunft einschränken können, sollten wir das tun.«
»Schiffe zu versenken und die Stallungen von Brutstätten zu überfallen geht nicht ohne Blutvergießen«, erklärte der mit den zwei Zöpfen. »Eine Revolution schafft ebenso Leichen wie eine neue Zukunft.«
Ich verzog das Gesicht. Meine Hände waren von dem Saft des Granatapfels rot gefleckt. »Ich weiß.«
Pockennarbe spürte den Moment von Schwäche in mir und setzte nach. »Wirst du dich herablassen, uns Blutverschmierten zu erklären, wie du Bullendrachen aus dem Nichts züchten willst, heho? Oder sollen wir einfach darauf vertrauen, dass du es kannst, wie wir auch allem anderen glauben müssen, was aus deinem Mund sprudelt?«
Hätte ich eine Peitsche in der Hand gehabt, hätte ich ihm seine narbige Nase weit aufgerissen.
»Ich sage es denen«, ich beschied mich mit bissigen Worten, »die es wert sind, das Geheimnis zu erfahren.«
Tansan erhob sich von dem Diwan. »Auf uns wartet Arbeit. Sollten Drachenflieger aus anderen Brutstätten oder woher auch immer hier ankommen, sollen sie lebendig und unverletzt hierhergebracht werden. Zarq, du bleibst hier. Wir müssen uns unterhalten, du und ich.«
Pockennarbe warf mir einen giftigen Blick zu, als er hinausging.
Der Rebell mit dem Messer blieb am Tisch sitzen.
Ich nahm eine reife Durian-Frucht aus dem silbernen Korb, stand auf und legte sie vor ihn hin. »Sie verdirbt, wenn sie nicht bald gegessen wird.«
Jetzt endlich blickte er langsam hoch. Seine Augen waren so dunkel wie feuchter Lehm, und aus ihrem funkelnden Blick sprach Intelligenz. Wie die anderen Rebellen war auch er unterernährt und abgemagert, und sein Bart und sein Haar waren lang und ungepflegt. Von seiner Stirn blätterte in linsengroßen Fetzen getrocknetes Blut ab. Offenbar war das Blut eines seiner Opfer gestern Nacht über ihn gespritzt.
Er nahm die Durian-Frucht. Das pfeffrige, leicht nach Urin duftende Aroma der Frucht erfüllte den Raum, als er die Schale mit seinem Messer ritzte.
»Sag uns, wer du bist, Zarq«, meinte Tansan ruhig. »Sag uns, woher du den Wai Vaneshor kennst.«
Ich kam ihrer Aufforderung nach. Ich sagte ihr, wer der Mann, den sie den Suwembai-kam nannten, wirklich war und wie ich den Roshu von Xxamer Zu in einer Arena-Wette, die von Malaban Bri, dem einflussreichen Handelsbaron, gedeckt worden war, entthront und an seiner Stelle Ghepp als Vorsteher eingesetzt hatte. Ich sprach von Drachenjünger Gen, der jetzt der verschwundene Wai Vaneshor Ghepps war, und von der uralten Prophezeiung, von der Gen wusste und die von meiner Bestimmung als Tochter des Himmelswächters kündete.
Meine Kehle wurde trocken. Ich trank ein wenig mit Wasser und Orangensaft verdünnten
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