Das Gift der Drachen Drachen3
Worten Nachdruck zu verleihen, kreischte der Geist über dem Tempel. Der Boden bebte, und Mörtel rieselte aus der Kuppel auf uns herunter. Waivias tigerartige Augen blitzten Gen an, als ich die letzte Stufe zum Boden des Amphitheaters hinabstieg. »Dennoch, ich bin beeindruckt. Ich hätte nicht gedacht, dass du das Spielzimmer meines Geliebten überlebst.«
Mein Blick zuckte zu Kratt. Er lehnte lässig an einem Pfeiler. Seine Miene hätte träge amüsiert wirken können, wären da nicht seine hellen Augen gewesen, die in furchteinflößender Erregung funkelten. Es verschlug mir fast den Atem, als ich ihn ansah.
»Kratt!«, stieß ich heiser hervor. Ich zwang mich, den Blick nicht von seinen grausamen Augen abzuwenden, als ich näher an Waivia herantrat, noch näher. »Ich bin hier. Du hast, was du willst. Jetzt lass die Kinder gehen.«
»Das werde ich wohl nicht tun.«
»Ich bin die, die du willst …«
»Ah, gewiss, aber ich muss mein Wort halten, das ich dem Drachenmeister gegeben habe. Er hat dich mir versprochen, und im Gegenzug habe ich ihm dafür seine Rache zugesagt. Und sieh, genau rechtzeitig: Seine Gelegenheit, Vergeltung zu üben, ist gekommen.« Er blickte zu den dunklen Stufen hinter mir hoch.
»Mama!«, schrie Savga, warf sich nach vorn, riss sich aus Waivias Griff und rannte die Stufen zu den oberen Reihen des Amphitheaters hoch. Waivia verfolgte sie, hob eine Hand, aus der grüne Funken sprühten, aber ich sprang rasch vor sie.
»Lass sie laufen!«
Wir waren nur Zentimeter voneinander entfernt und doch durch Welten getrennt. Nie wieder würden wir uns umarmen.
»Du hättest an Bord dieses Schiffes gehen sollen, Zarq.«
»Werde nicht wie Mutter«, erwiderte ich ruhig. »Verdamme dein Kind nicht mit deinem Wahnsinn!«
»Was ich tue, tue ich nur für meinen Sohn. Er wird nicht so leiden wie ich, wird nicht verhöhnt, verachtet und missbraucht werden, wird nicht hungern.«
»Vielleicht nicht.« Ich weigerte mich, vor ihrem Schmerz und ihrer Wut zurückzuzucken. Diesmal nicht. Nie wieder. »Aber wenn du auf diesem Weg bleibst, wird er leiden, wie ich gelitten habe. Ich weiß, wie es ist, dem Wahnsinn einer Mutter willkürlich ausgeliefert zu sein.«
»Du weißt nicht, wie es ist, eine Mutter zu sein.«
»Ich weiß, wie es ist, ein hilfloses Kind zu sein.«
Tansan trat in mein Blickfeld. Schön wie eine Statue, verschwitzt und von zahllosen Wunden übersät. Ich sah, wie sie umständlich den blutigen Speer auf einigen Sitzen des Amphitheaters ablegte, bevor sie die letzten Stufen hinabstieg.
Als sie den Boden erreicht hatte, sahen sie und Waivia sich an. Tansan war größer, aufrechter und hielt ihre Kraft und Wildheit in Schach. Waivia war eine dunkle, üppige, wilde Schönheit, eine flammenäugige Amazone, die zum Sprung bereit war.
»Lass mein Baby frei«, sagte Tansan.
»Komm und hol ihn dir«, frohlockte der Drachenmeister und drückte einen Dolch gegen den weichen Hals des Babys. »Ja, ja! Komm und hol dir deinen kleinen Bastard.«
Tansan sah mich an. Ihre Augen waren so schwarz und unergründlich wie Gift. »Savga, geh mit Zarq!«
»Mama, nicht …«
»Sofort!«
Kratt stieß sich vom Pfeiler ab. »Zarq geht mit mir.«
Drachenjünger Gen zückte sein Schwert. »Zurück, Kratt!«
»Gen!«, schrie ich. »Er will nur mich! Waivia …« Ich wandte mich an sie. »Lass das Baby frei. Es ist kaum älter als dein Kind. Du bist kein Kindermörder. Mach das nicht. Lass das Baby frei. Tansan wird mit dem Drachenmeister gehen, aber lass ihr Baby am Leben!«
»Ich habe dir schon einmal gesagt, Zarq: Wenn du mir wegnimmst, was mir gehört, dann tue ich dir weh!«, erklärte Waivia.
»Dann tu es, tu mir weh. Aber nicht dem Baby.«
Sie blähte die Nasenflügel. Agawans krampfhafte Schreie klangen heiser, und seine kleinen Rippen drückten gegen die Lederriemen, die ihn so grausam fesselten. Die Hände hatte er zu kleinen, roten Fäusten geballt. Seine Schreie hatten Waivias Milchfluss ausgelöst. Auf ihrem Bitoo waren über ihren Brüsten zwei dunkle, nasse Flecken zu sehen.
Ihr Blick zuckte zu Agawan, dann zurück zu mir. Ihre Augen waren kalt und hart. »Geh zu Kratt.«
»Süße!« Kratts Stimme klang so hart wie Eisen. »Das Baby bleibt, wo es ist!«
Ein Ausdruck von Ekel zuckte über Waivias Gesicht. In dem Moment begriff ich, dass sie für ihren Gebieter weder Liebe noch Respekt empfand. Er war ein Werkzeug, das sie nach Belieben benutzte, nicht mehr.
»Das Baby«, stieß sie
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