Das Gift der Engel
großes weißes Schild auf die Klinik hin.
Das Gebäude war ein länglicher Kasten mit einigen unregelmäßig geschnittenen Anbauten, die sich oberhalb des Hauptgebäudes an den Berg drängten. Der Besucherparkplatz schob sich als Plateau vor die verschachtelten Bauten. Als Alban ausstieg, erkannte er hinter den gedrängten Dächern von Eltville das glitzernde Wasser des Rheins.
Eine Drehtür aus Glas führte in das Foyer der Klinik. Rechts am Eingang saß ein Mann in einer Loge. Darüber hing ein Schild mit dem Hinweis »Information.«
Alban wägte ab, ob er gleich hier nach ehemaligen Kollegen von Joch fragen sollte oder ob es besser war, sich zuerst an die urologische Abteilung zu wenden. Der Mann in der Loge war höchstens Mitte zwanzig. Als sich Joch zur Ruhe setzte, mochte er also um die fünfzehn Jahre alt gewesen sein. Viel zu jung.
»Wo geht es denn bitte zur Urologie?«, fragte Alban.
»Möchten Sie jemanden besuchen, oder haben Sie einen Termin?«
Alban stutzte. So was wurde man normalerweise nicht gleich am Eingang gefragt. Offenbar hielt man das in Privatkliniken anders.
»Nein, es geht um eine Beratung. Mein Internist aus Bonn hat mich hierher geschickt. Ich soll mich bei … Wie heißt doch gleich der leitende Chefarzt?«
»Dr. Eisenmenger«, sagte der Mann.
»Genau. Zu dem wollte ich.«
»Entschuldigen Sie, aber Sie müssen erst einen Termin ausmachen. Auch für eine Beratung hätten Sie sich vorher anmelden müssen.«
»Dann lassen Sie mich das doch bitte jetzt nachholen. Wo ich schon mal da bin, wird das doch sicher möglich sein, oder?«
»Natürlich, Herr …«
»Alban. Nikolaus Alban.«
Der Mann griff zum Telefon und meldete ihn an. Kurz darauf hatte er Alban den Weg erklärt. Alban kam an einer kleinen Cafeteria und einem Kiosk vorbei. Er umrundete Patienten in Bademänteln und ging emsigen jungen Menschen in weißer Krankenhauskluft aus dem Weg.
In ihm hämmerte es. Lea, dachte er. Lea, Lea, Lea.
Dieser chemische Geruch, diese Atmosphäre, diese Mischung aus Bahnhof und Hotel – all das sorgte dafür, dass die Erinnerungen wieder hochkamen. Als Lea endlich von ihren Leiden erlöst gewesen war, hatte er sich genau in einer solchen Szenerie wiedergefunden – im Eingangsbereich eines Krankenhauses, ohne Ziel und ohne Sinn. Alban hatte seitdem keines mehr betreten. Er kämpfte tapfer gegen die Beklemmung, die ihn zu lähmen drohte.
In den Aufzug stieg eine ältere Dame mit ein. Sie hielt eine Einkaufstüte mit Saftflaschen und Süßigkeiten in der Hand; offenbar war sie auf Krankenbesuch. Schließlich erreichte die Kabine die richtige Etage, und Alban kam nach einem kleinen Marsch durch einen spiegelblank geputzten Flur an eine Glastür.
Man musste auf eine Klingel drücken. Die Tür wurde geöffnet, und kaum hatte man die Station betreten, änderte sich der Geruch wieder. Jede Station hatte ihre eigenen feinen Unterschiede. Es musste an den Medikamenten liegen, die mit den Putzmitteln eine eigenwillige Verbindung eingingen.
Alban kam an einem Gummibaum und Plakaten mit schematischen Darstellungen der menschlichen Urinausscheidungsorgane vorbei und gelangte zu einem geöffneten Zimmer, das wie eine Anmeldung aussah. Er stellte sich an einen Tresen, und eine junge Frau in Weiß begrüßte ihn.
»Herr Alban, nehme ich an?«, sagte sie.
Die ist auch zu jung, dachte er.
»Es geht um einen Untersuchungstermin?« Sie blätterte in einem riesigen Tischkalender, der auf dem Tresen lag. »Haben Sie Informationen von Ihrem Hausarzt dabei?«
»Ich habe nichts dabei«, sagte Alban. »Und wäre es vielleicht möglich, mit Herrn Dr. Eisenmenger persönlich zu sprechen?«
Die Frau sah überrascht auf. »Aber das werden Sie dann schon, wenn Sie zu Ihrem Termin wiederkommen. Im Moment müssen wir doch nur den richtigen Zeitpunkt …«
»Es tut mir leid«, fiel ihr Alban ins Wort. »Aber es geht um etwas sehr Spezielles.«
»Und das wäre?«
Alban holte seine Brieftasche hervor und entnahm ihr die Plastikkarte seiner privaten Krankenversicherung.
»Ist es jetzt möglich, mit Herrn Dr. Eisenmenger zu sprechen, oder nicht?«
Das Mädchen nickte und verließ das Zimmer. Zwei Minuten später kam sie zurück und bat Alban, ihr zu folgen.
Es ging ein Stück weit den Flur entlang. Das Mädchen öffnete eine weitere Tür. Hier sah es nicht mehr aus wie in einem Krankenhaus, sondern wie in der Chefetage einer großen Firma. Hinter einem halbrunden Schreibtisch residierte eine dunkel
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