Das Gift der Engel
Opernpartitur. So was ist schwer abzuschreiben. Es sind Hunderte von Seiten.«
»Warum hat er sie nicht einfach fotokopiert?«
»Weil er geheim halten wollte, von wem die Musik ist. Man soll die Handschrift vielleicht nicht erkennen. Er könnte es gerade darauf angelegt haben, die Originalhandschrift zu verbergen.«
Alban war klar, wie albern diese Idee war. Er selbst war gar nicht mehr der Ansicht, dass es sich um ein Stück aus dem 18. Jahrhundert handelte. Aber jetzt ging es darum, dass Sebastian Joch ihn in diese Wohnung ließ.
»Sie meinen also, in der Wohnung meines Bruders liegt unter Umständen ein Schatz? Kann man das so sagen?«
»Genau. In seiner Wohnung, in einem Schließfach oder auch in einer Zweitwohnung, wenn es eine gibt.«
»Von einem Schließfach oder einer Zweitwohnung weiß ich nichts. Aber ich verstehe das nicht. Warum hat die Polizei keinen Hinweis gefunden? Die haben sich doch auch dort umgesehen, und ich nehme an, sie sind dort auch auf die Spur von diesem Zimmermann gestoßen?«
Er weiß nicht, dass ich Kessler auf Zimmermann gebracht habe, dachte Alban. »Die Polizei«, sagte er, »suchte ja nicht den Schlüssel zur Herkunft dieser Arie. Sie suchte einen Mörder.«
»Aber der Dieb, der die Wohnung angeblich ausgeräumt hat, der suchte sie vielleicht«, mutmaßte Joch, und Alban musste zugeben, dass das ein interessanter Gedanke war. Wenn derjenige auf der Suche nach der Partitur gewesen war, dann konnte es nicht Zimmermann gewesen sein … Oder war das ein Ablenkungsmanöver gewesen? Hatte Zimmermann Joch ermordet, die Wohnung leer geräumt, die Partitur geholt und Alban ein Märchen erzählt?
Joch sprach weiter. »Das heißt, es kann auch sein, dass der Dieb die Partitur gar nicht gefunden hat?«
»Das Beste ist, wir schauen uns das selbst an.«
»Also gut. Ich bin hier gegen zwei fertig. Ich fahre zu Hause vorbei, hole den Schlüssel und komme nach Bonn.«
»Wir treffen uns vor der Wohnung«, sagte Alban.
»Einverstanden.«
»Wann genau?«
»Sagen wir, um vier.«
Die Uhr unter dem Tacho zeigte 15 Uhr 28, als Alban die Poppelsdorfer Allee erreichte. Hier hatte in der Breite gerade mal ein Wagen Platz. Ein Auto parkte dicht hinter dem anderen, und es war fast ausgeschlossen, eine Lücke zu finden.
Zu Hause hatte Alban es nicht mehr ausgehalten. Er verspürte Aufregung. Es war ein Gefühl wie das Lampenfieber, an dem er früher, als er manchmal noch als Geiger aufgetreten war, gelitten hatte.
Er ließ den Wagen langsam an der Reihe entlangrollen und entdeckte plötzlich eine Lücke. Er parkte rückwärts ein, stieg aus und schlenderte zu Jochs Haus hinüber.
Noch eine halbe Stunde. Alban hatte keine Lust, sich so lange vor dem Haus herumzutreiben und womöglich noch einmal der Nachbarin zu begegnen, der er den Bären mit den geliehenen CDs aufgebunden hatte. Es war sicher nicht gut, wenn Sebastian Joch herausbekam, dass er schon einmal hier gewesen war.
Er unternahm einen kleinen Spaziergang an der Schlosswiese entlang hinunter in Richtung Stadt, auf der anderen Seite wieder zurück bis hinauf zum Schloss.
Es dauerte noch eine gute Viertelstunde, bis Sebastian Joch in seinem Kombi vorbeifuhr – wie Alban zuvor auf der Suche nach einem Parkplatz. Er bog in den Talweg ein und blieb dann für längere Zeit verschwunden. Irgendwann kam er zu Fuß angelaufen.
»Warten Sie schon lange?«, fragte er, ohne Alban zu begrüßen.
»Es gibt hier immer Parkplatzprobleme. Ich hätte Ihnen das sagen sollen. Sie sind noch nie hier gewesen, oder?«
»Nein«, sagte Joch und blickte an der noblen Fassade empor. »Als ich die Adresse erfuhr, habe ich ja schon was Vornehmes erwartet. Aber wenn man dann erst mal hier ist …«
Er ging durch das schmiedeeiserne Törchen, griff in die Tasche, und Alban hörte Metall klingeln. Dann öffnete Joch die Haustür.
Auf jeder Etage lagen zwei Wohnungen. Jede Tür war mit einem großen Schild mit dem Namen des jeweiligen Bewohners versehen. Alban erkannte die Namen wieder, die er sich notiert hatte.
Schließlich fanden sie die richtige Tür, und Joch schloss auf.
Vom Flur aus ging es in ein geräumiges Wohnzimmer. Die Stirnseite des Raumes war mit einem Bücherregal bedeckt. Die Bretter waren aber höchstens zur Hälfte mit Büchern und CDs gefüllt. Der übrige Platz war leer.
Zu wenig CDs für einen echten Musikfreund, dachte Alban. Und keine LPs, wie man es erwarten könnte.
Auf der anderen Seite stand ein antiker Sekretär, mit
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