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Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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zusammengefalteten Zeitungsausschnitt, der direkt vor der Umschlagseite steckte. Alban blätterte durch das Buch und erkannte auf den ersten Blick, worum es sich handelte: Selbst verlegte moderne Lyrik. Er las kurze Verse wie »Im Schatten deines Lebens / liebe ich / wirklich« oder »An die Schulter der Nacht / gelehnt / blättert die Zeit / die Stunden um«.
    Als er die Schritte des Bruders auf dem Flur hörte, der offenbar ins Wohnzimmer zurückkam, zog er kurz entschlossen den Zeitungssauschnitt heraus, steckte ihn in die Tasche seines Sakkos. Bevor Sebastian Joch den Raum betrat, stand das Buch wieder im Regal.
    »Ich glaube, ich habe was gefunden«, sagte er. Sein Blick wirkte streng. Hatte er etwa mitbekommen, dass Alban etwas hatte mitgehen lassen? Joch wandte sich den CDs zu und griff nach der Beethoven-Box von Sir Simon Rattle. »Sinfonien«, sagte er und nickte. »Sinfonien und Opern. Dafür konnte sich Wolfgang begeistern. Das war schon so, als wir noch Kinder waren. Wussten Sie, dass er eigentlich Sänger werden wollte?«
    Alban verneinte.
    Joch stellte die Box zurück ins Regal. »Es war wohl besser, dass er einen ordentlichen Beruf ergriffen hat.«
    »Was haben Sie gefunden?«, fragte Alban.
    »Einen Koffer. Drüben im Schlafzimmer. Er liegt auf dem Kleiderschrank. Die Schlüssel passen vielleicht.«
    Sie gingen hinüber. Joch holte einen Stuhl aus der Küche, stieg darauf und wuchtete einen schwarzen Hartschalenkoffer herunter. Er war ziemlich schwer. Die Kunstlederoberfläche war verstaubt.
    Dafür hat sich die Polizei auch nicht interessiert, dachte Alban.
    Als sie ihn aufs Bett legten, lösten sich graue Flocken. Joch steckte einen der kleinen Schlüssel hinein und drehte ihn.
    »Oh Gott«, entfuhr es ihm, als sie den Deckel hochgehoben hatten. Alban sagte nichts und starrte auf das, was in dem Koffer verborgen war. Es waren Magazine, wie sie homosexuelle Männer wohl kauften. Joch streckte die Hand aus und wühlte darin herum, als würde er noch immer Hinweise auf die Herkunft der Partitur suchen. Oder etwas anderes als diese Zeitschriften. Die Fotos der muskulösen jungen Boys mit wallendem Haar und blendend weißen Zähnen rutschten durcheinander.

10
    Zehn Minuten später saß Alban in seinem Wagen, fuhr aber nicht los. Sebastian Joch hatte die Untersuchung der Wohnung schnell beendet und sich verabschiedet.
    Alban wartete, bis Joch hinter den parkenden Autos verschwunden war. Dann tastete er nach dem Papier, das er in dem Buch gefunden hatte, zog es heraus und faltete es auseinander.
    Es war eine komplette Zeitungsseite aus der Bonner Rundschau. Das Datum lag einige Monate zurück. Alban überflog die Meldungen. In den Seitenspalten waren kleinere Lokalthemen abgehandelt, den Platz in der Mitte beanspruchte ein großer mehrspaltiger Bericht.
    »Frauenleiche am Rhein gefunden« , lautete die Überschrift. »Spaziergänger fanden am Montagabend am Kemper Werth gegenüber von Graurheindorf eine Frauenleiche. Die Tote lag direkt am Rheinufer. Die Polizei hat die Frau bisher noch nicht identifizieren können. Ein Gewaltverbrechen wird nicht ausgeschlossen …«
    Alban las den Text zu Ende und starrte eine Weile auf die Windschutzscheibe. Dann steckte er das Blatt zurück in die Tasche und fuhr los. Die Uhr unter dem Tacho zeigte 17 Uhr 34.
    Vielleicht war Kessler noch im Präsidium.
    Im Feierabendverkehr riss Alban fast der Geduldsfaden, und es war bereits halb sieben, als er endlich auf dem Besucherparkplatz ankam. Der große graue Kasten des Polizeipräsidiums wirkte in der Dunkelheit bedrohlich. Alban fragte an der Pforte nach dem Hauptkommissar. Der Pförtner rief oben an und schüttelte den Kopf. »Herr Kessler ist nicht mehr da.«
    Alban überlegte, ob er sich an einen Kollegen wenden sollte. Nein, es war sicher besser, mit Kessler selbst zu sprechen.
    Gerade wollte er sich umdrehen und gehen, da hörte er Schritte. Kessler kam aus dem Inneren des Gebäudes auf ihn zu.
    »Nikolaus, nanu, willst du zu mir?«
    »Du hast Dienstschluss, wenn ich das richtig sehe«, sagte Alban.
    »Allerdings.« Er nickte dem Pförtner kurz zu und ging nach draußen. Alban folgte ihm.
    »Gerhard, du musst mir helfen. Ich bin mit Sebastian Joch in der Wohnung in der Poppelsdorfer Allee gewesen …«
    Kessler marschierte stramm weiter in Richtung Bahnhaltestelle. »Und? Weißt du jetzt, wer die Partitur geschrieben hat?«
    »Nein, ich glaube auch, dass es darum gar nicht mehr geht.«
    Kessler blieb abrupt stehen

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