Das Gift der Engel
von dem man praktisch gar nichts weiß? Ich denke, der Fall wird in meiner Studie großen Raum einnehmen. Natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Ist es nun ein Barockstück oder nicht?«
»Das lässt sich so einfach nicht sagen. Könnte ich Ihnen die Ergebnisse denn persönlich vorstellen? Vielleicht bei Ihnen?«
»Gern, wenn Ihnen das lieber ist. Wollen Sie all Ihre Computer mitbringen?«
»Ich habe ein Notebook bei mir. Das reicht völlig. Wann wäre es Ihnen recht?«
»So schnell wie möglich. Heute Abend?«
»In Ordnung.«
Alban sah auf die Uhr. Es war zwanzig nach sieben. »Sagen wir um neun?«
»Geht klar.«
Alban legte auf und versuchte es bei Dr. Schneider.
»Herr Alban. Gut, dass Sie sich noch melden.« Im Hintergrund war ein Knirschen zu vernehmen. Offenbar hatte sich der Anwalt gerade in seinen Ledersessel sinken lassen.
»Ich glaube, dass sich Herr Zimmermann in seiner Haft in etwas hineinsteigert. Jetzt erzählt er, Herr Dr. Joch habe einen anderen gehabt.«
»Hat er einen konkreten Verdacht?«
»Nein, nur so ein Gefühl. Es sei keine bestimmte Person, die er benennen könnte. Aber es sei ihm so vorgekommen, als habe Joch immer von jemand anderem geträumt. Jemand, den er nicht haben konnte … Verstehen Sie, was ich meine?«
»Vollkommen«, sagte Alban und fragte sich, was daran schwer zu verstehen war. »Wenn wir wirklich einen anderen Liebhaber von Herrn Dr. Joch finden oder wenn wir auch nur auf einen Hinweis dafür stoßen, dass es diese Person gibt und dass Herr Dr. Joch Zimmermann verlassen wollte, dann werden wir Ihren Mandanten noch weiter belasten.«
»Das ist mir klar.«
»Wenn man nur wüsste, wer es sein könnte …«
»Ich habe noch eine Information. Es könnte damit in Zusammenhang stehen.«
»Und?«
Dr. Schneider druckste herum. Offenbar suchte er nach den richtigen Worten. »Es ist etwas Sexuelles. Herr Joch hatte da eine bestimmte Vorliebe.«
»Das soll es geben. Welche?«
»Er liebte Stimmen.«
»Wie bitte?«
»Er liebte Gesangsstimmen. Vor allem hohe.«
»Was heißt das, er liebte sie?«
Dr. Schneider zögerte immer noch. »Herr Zimmermann sagte, Herr Joch wurde von Stimmen sexuell stimuliert. Wenn er mit Herrn Zimmermann zusammen war, um es mal so auszudrücken, liefen immer bestimmte CDs.«
»Interessant«, sagte Alban sachlich. »Welche?«
»Herr Zimmermann weiß es nicht genau. Er kennt sich mit klassischer Musik nicht aus. Aber er hat gesagt, es seien spezielle, sehr hohe Tenöre, die Herr Joch gern hörte. Können Sie mit der Information etwas anfangen?«
»Ich denke schon. Er meint Countertenöre. Das sind Männer, die in sehr hohen Lagen singen, weil sie eine bestimmte Technik benutzen. Sie singen mit der Kopfstimme. Sie imitieren dabei Frauenstimmen.«
»Wie dem auch sei«, sagte Dr. Schneider. »Diese Stimmen mochte er jedenfalls.«
»Kann es sein, dass Herr Joch einen solchen Sänger kannte? Oder war er Fan von einem bestimmten Künstler?«
»Das habe ich meinen Mandanten auch gefragt, aber dazu konnte er nichts sagen. Wie gesagt: Herr Zimmermann kennt keine anderen Kontakte.«
»Es könnte ja sein, dass die Partitur einem Countertenor gehörte. Oder dass das Stück aus dem Repertoire eines solchen Sängers stammt.« Alban redete sich in Fahrt. »Und sieht man mal davon ab, dass die Arie nicht ganz, aber in vielen Details doch barocke Züge trägt, dann ist es auch das richtige Repertoire. Countertenöre singen nämlich hauptsächlich Barockmusik.«
»Das können Sie sicher viel besser beurteilen. Mehr kann ich dazu jedenfalls nicht sagen.«
Alban dachte nach. In der Wohnung am Poppelsdorfer Schloss hatte es in den Regalen keine einzige CD mit Aufnahmen eines Countertenors gegeben, da war er ganz sicher. Wahrscheinlich hatte Joch diese Musik bei Zimmermann gehört. Aus nahe liegenden Gründen …
»Sind Sie denn weitergekommen?«, fragte der Anwalt.
»Wie man es nimmt.« Alban berichtete in knappen Worten.
»Das ist für zwei Tage eine Menge. Sie könnten eine zweite Karriere als Detektiv starten.«
»Ich habe auch mit einem der Ermittler gesprochen. Heute Abend noch. Ich wollte wissen, was die Polizei von der Idee hält, dass Joch Dagmar Dennekamp kannte.«
»Das haben Sie hingekriegt? Unglaublich. Wie haben Sie das denn angestellt?«
»Ach, ich habe da so eine Verbindung. Die Polizei findet es jedenfalls völlig absurd, dass die Fälle Dennekamp und Joch zusammenhängen sollen. Wie denken Sie
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