Das Gift der Engel
Artikel, die es sicher zu dem Fall noch gegeben hat, nicht? Gerhard, das ist höchst merkwürdig!«
»Trotzdem kann man daraus nicht ableiten, dass die Fälle etwas miteinander zu tun haben.
»Wie lange habt ihr gebraucht, um herauszufinden, wer die tote Frau war? Ich meine, wie lange hat es gedauert, bis es auch die Öffentlichkeit wusste?«
Kessler wand sich.
»Na?«, sagte Alban. »Spuck’s schon aus.«
»Ich weiß es nicht mehr genau. Das ist ja auch schon eine ganze Weile her.«
»Versuch dich zu erinnern. Oder sollen wir ins Präsidium zurückfahren und einen Kollegen fragen? Ihr hab doch so was sicher im Computer, oder?«
»Wie redest du eigentlich mit mir?«, rief Kessler erbost. »Ich lasse mich von dir doch nicht unter Druck setzen.«
»Aber du kannst doch nicht allen Ernstes behaupten, dass Joch zufällig und aus reiner Sentimentalität heraus diese Zeitung aufbewahrt hat? Da muss doch was dahinterstecken. Ich bitte dich, Gerhard, sag mir, wie lange hat es gedauert, bis ihr herausgefunden habt, dass die Tote Dagmar Dennekamp war!«
»Etwa eine Woche. Vielleicht auch mehr«, gab Kessler zu. »Sie wurde nämlich zuerst gar nicht vermisst.«
»Warum das denn? Hatte ihr Mann gar keinen Kontakt mehr zu ihr?«
»Sie wohnte mittlerweile in Erpel. Niemand hat bemerkt, dass sie nicht da war. Sie lebte sehr zurückgezogen.«
Alban bog schwungvoll in die Leuschnerstraße ein. »Da ist noch etwas, das ich merkwürdig finde, Gerhard.«
Kessler seufzte. »Bin ich froh, dass ich in einer Sekunde zu Hause bin.«
Alban stoppte den Wagen. »Ehrlich gesagt wundert es mich, dass Joch dieses Buch überhaupt besaß«.
Kessler sah Alban an, als hätte er es mit einem Verrückten zu tun. »Nikolaus, ich glaube, jetzt bist du wirklich nicht mehr ganz bei Trost. Warum sollte Joch dieses Buch nicht besessen haben? Wie viele Bücher hast du denn? Ich denke, das ist bei euch belesenen Leuten so?«
»Gerade deshalb. Dieses Buch, diese Lyrik …«
»Was ist damit?«
»Es ist schlechte Lyrik. Ich habe ein paar Gedichte gelesen. Es sind diese typischen poetischen Nichtigkeiten, wie sie in so vielen Miniverlagen erscheinen. Ich verstehe nicht, warum sich Joch so was hinstellt, während wirklich wichtige Bücher, die ein Musikkenner eigentlich haben müsste, in seiner Wohnung fehlen.«
»Also, das ist mir jetzt zu hoch. Schon diese komische Arie, die kein Mensch singen kann, gefällt niemandem außer dir. Und jetzt erzählst du allen Ernstes, die Gedichte dieser Dagmar Dennekamp seien zu schlecht, als dass sie Dr. Joch in sein Regal stellen würde. Das ist doch alles reine Geschmackssache. Und warum soll man nicht auch schlechte Bücher haben?«
»Es ist keine Geschmackssache.« Alban wollte weiterreden, doch plötzlich wurde ihm klar, dass er genau darüber gestern Abend mit Simone gesprochen hatte. Genialität war subjektiv. Trotzdem hatte er recht, er wusste es genau.
Kessler bemerkte Albans Nachdenklichkeit nicht und sprach weiter. »Was denn sonst? Und abgesehen davon: Daraus lässt sich doch nie im Leben etwas beweisen. Wenn ich dich richtig verstehe, willst du nahelegen, dass Joch der Mörder von Dagmar Dennekamp war.«
»Vielleicht.«
»Wer hat denn dann Joch auf dem Gewissen?« Kessler sprach jetzt sehr langsam und sanft. »Nehmen wir an, es wäre so. Hat er sich den Beethoven vielleicht selbst auf den Kopf gehauen?«
»Er muss ja nicht selbst der Mörder gewesen sein.«
»Na siehst du«, sagte Kessler und öffnete die Tür.
»Er könnte ja den Mörder auch gekannt haben.«
Der Hauptkommissar stieg aus. Dann bückte er sich und sah in den Wagen. »Natürlich hat er ihn gekannt. Er heißt Arne Zimmermann und sitzt in U-Haft. Und ich hätte nichts dagegen, wenn wir feststellen würden, dass er auch Frau Dennekamp ermordet hat. Dann wäre der alte Fall endlich auch geklärt. Wiedersehen und danke fürs Fahren.«
Damit knallte er die Tür zu.
Der Anrufbeantworter blinkte. Alban drückte den Wiedergabeknopf und hörte die Stimme von Dr. Schneider, der erklärte, er habe Herrn Zimmermann wieder besucht und wolle mit Alban darüber sprechen. Danach bat Peter Jung um Rückruf.
Alban rief zuerst den Studenten an.
»Der Computer hatte an Ihrer Arie ganz schön viel zu rechnen.«
»Tatsächlich?«
»Sagen wir mal so – wir haben ihn lange rechnen lassen. Wie ich Ihnen ja schon sagte, ist dieses Stück ein schönes Beispiel für die Relevanz unseres Projekts, denn wann hat man schon mal ein Musikstück,
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