Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
Rücken ab.
» Guy«, fragte Rex spöttisch, » wohnst du noch bei deiner Mum?«
» Ich wohne da nicht direkt«, sagte er zur Wand.
» Aber diese Wohnung in Ladbroke Grove, die voll von deinen ›Leuten‹ ist– da wohnen tatsächlich deine Mum und dein Dad?«
» Ja, schon«, sagte er und setzte sich vergeblich und zu spät zur Wehr. » Aber das Leben, das du auf der Straße führst, macht dich zu dem, was du bist. B hat meine Clique kennengelernt. Sie weiß Bescheid.« Er sah sie hilfesuchend an, aber Biba lachte mit uns über ihn. Es war ein triumphaler Augenblick für Rex. Guy mochte vorübergehend Anspruch auf seine Schwester erhoben haben, aber Rex, der sie besser kannte als irgendjemand sonst, sah, dass dies der Anfang vom Ende war. Er wusste, Biba verzieh– ja, sie verklärte und bewunderte– Kleinkriminalität, Idiotie, schlechten Musikgeschmack und Drogen. Aber eins ließ sie nicht durchgehen: wenn etwas nicht authentisch war. Von jetzt an war es nur noch eine Frage der Zeit. Es war wie mit einem Haarriss im Putz über dem Türrahmen: Rex brauchte die Tür jetzt nur noch oft und hart genug zuschlagen, und die ganze Wand würde aufbrechen.
» Lacht nicht über mich.« Guy drehte sich um und sah uns an. » Einen Scheißdreck wisst ihr. Hockt hier in eurem Haus in eurer kleinen Luftblase und hängt in dem beschissenen Wald herum wie Hänsel und Gretel, verdammt.« Noch nie hatte ich Guy so emotional reden hören. Wie die » piekfeine Telefonstimme« meiner Mutter, wenn sie betrunken oder wütend war, verschwand und die Klasse zum Vorschein kam, der sie in Wahrheit angehörte, so kletterte Guys Akzent auf der gesellschaftlichen Skala immer höher, je mehr er die Beherrschung verlor. Sonst immer verschluckte Laute fanden den Weg zurück in sein Alphabet, und er klang immer mehr wie ein Privatschüler und immer weniger wie ein Großstadtgangster.
» Während du den Kontakt zum wahren Leben bewahrst, indem du deinem Vater den Computer klaust und Mums Shepherd’s Pie frisst«, sagte Rex. Die Freude darüber, dem Mann, den er hasste, endlich überlegen zu sein, machte ihn selbstbewusst und sogar witzig. » Guy, könntest du mich freundlicherweise mit einem Joint versorgen? Mit einem Schießeisen? Mit einer Lasagne ?«
Guy sah erbarmungswürdig aus mit seinem zerknüllten Bettlaken.
» Ja, ja, glaubt ja nicht, ich könnte keine Kanone besorgen, denn das könnte ich auch!« Er hatte die Unterlippe jetzt tatsächlich vorgeschoben wie ein schmollendes Kleinkind, und halb rechnete ich damit, dass er den Satz mit » Ätsch bätsch!« beendete. » Ich kenne Leute, die alles besorgen können. Überhaupt alles. Das könnte ich.«
Mit einer Kniebeuge hob er die Jeans auf, die er ans Fußende von Bibas Bett geworfen hatte, ließ sein Laken fallen und marschierte hinaus. Ein paar Sekunden später kam er, bekleidet mit der Jeans, zurück und wollte sein Telefon holen. » Verpisst euch, alle drei«, schrie er, bevor er wieder hinausstürmte. » Verpisst euch bloß.«
» Der kommt zurück«, sagte Biba.
Und das tat er auch, einen Tag später, nachdem er sich von seiner Mutter hatte füttern lassen und seinem Vater den Laptop zurückgegeben hatte. Er und Biba verbrachten den Nachmittag mit geräuschvollem Versöhnungssex, aber am Abend waren wir alle vier zusammen, und es war spürbar, dass eine unterschwellige Veränderung vor sich gegangen war. Guy hatte einen Dämpfer bekommen, und sein schweigsames Benehmen, bisher von potenzieller Bedrohlichkeit erfüllt, war jetzt als verlegenes Schmollen entlarvt. Körperlich waren er und Biba einander anscheinend genauso nah wie immer, aber der hingerissene Ausdruck in ihrem Gesicht war verschwunden, und ihre Aufmerksamkeit im Gespräch richtete sich wieder auf Rex und mich.
Wir hatten eine mit zweifelhaften Flecken übersäte, rosa und grau gemusterte Steppdecke in der vorderen Ecke des Gartens ausgebreitet. Die Sonne hatte den ganzen Tag über dem Garten gestanden und uns jetzt in die letzte warme Ecke getrieben, abseits des Waldes und vor dem Zaun zwischen unserem und Tom Wheelers Grundstück. Wir waren dicht daran, aber– und das ist entscheidend– nicht zu sehen. Wheeler führte seinen Feldzug als Nachbarschaftswächter nicht mehr reaktiv, sondern proaktiv; das heißt, er sammelte tatkräftig Beweismaterial für unser antisoziales Verhalten, ob real oder eingebildet. Mehr als einmal hatten wir gesehen, wie er den Kopf aus dem Erkerfenster ganz oben unter seinem Dach
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