Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
hob es auf. Nummer und Identität des Anrufers wurden auf dem grün-schwarzen Display angezeigt. Eine Londoner Nummer, aber keine aus der Gegend, und das Wort ZUHAUSE blinkten da. Ich schaute zur Decke hinauf, als könnte ich dort erkennen, ob er gleich heruntergerannt kommen und mir das Telefon aus der Hand reißen würde oder nicht. Aber er hörte gar nichts. Ich zog die Antenne heraus, wie ich es ihn hatte tun sehen, und drückte mit der Fingerspitze wahllos auf ein paar Tasten, ehe ich die fand, die mich mit der blechernen Stimme verband, die ein lautes » Hallo!« stakkatohaft wiederholte. Rex war jetzt wach und sah mir interessiert zu.
» Guys Apparat.«
» Wer sind Sie?« Es war nicht die dunkel grollende Männerstimme, die ich erwartet hatte, sondern eine weinerliche Frauenstimme. Der Aussprache nach war es eine gut betuchte, gebildete Londonerin mittleren Alters– ein Tonfall, den meine Mutter anstrebte, wenn sie das benutzte, was mein Vater ihre » piekfeine Telefonstimme« nannte. Ich nannte ihr meinen Namen nicht.
» Sind Sie Guys Mitbewohnerin?«, fragte ich.
» Mitbewohnerin? Mitbewohnerin? Ganz sicher nicht. Ich bin seine Mutter.« Dass Guy eine Mutter hatte, passte nicht gut zu dem Mythos, den er uns über sich verkauft hatte: der einsame Wolf im harten Großstadtmilieu. » Wenn es nicht zu viel verlangt ist, könnte ich dann möglicherweise mit meinem Sohn sprechen?«
» Guy«, rief ich, als Rex und ich oben vor der Tür standen. » Telefon für dich.« Ob seine Mutter das verräterische Quietschen und Knarren des Betts hören konnte, das sich unter ihren Körpern bog?
» Soll später noch mal anrufen. Bin bis an die Eier beschäftigt«, war die Antwort des stets galanten Guy.
» Es ist deine Mum«, rief ich. Abrupt wurde es still. Die Musik brach ab, und ein geflüstertes » Fuck!« war für uns und vielleicht auch für seine Mutter hörbar, dann ein Gewühl und ein Krachen– vermutlich, als Guy sich und seine Eier von Biba befreite. Er öffnete die Zimmertür und riss mir das Telefon aus der Hand. Er drückte sich ein zerknülltes Laken an die Weichteile. Biba saß aufrecht im Bett, in das zweite Laken gehüllt. Die Störung machte ihr anscheinend nichts aus. Sie hatte die knisternde Spannung gespürt, die das Drama ankündigte, das sich hier entfalten würde. Ohne Einladung, aber auch ohne Zurückweisung, traten Rex und ich über die Schwelle in ihr Zimmer und setzten uns rechts und links neben sie. Guy wandte uns den nackten Rücken zu und sprach leise, aber die Stimme seiner Mutter war so schrill, dass wir sie verstehen konnten.
» Was ist mit dem Computer deines Vaters passiert?«, fragte sie. » Er ist aus seinem Arbeitszimmer verschwunden. Hast du ihn aus dem Haus geschafft?«
» Nein.« Es klang wenig überzeugend.
» Es ist nicht einmal sein eigener Computer, weißt du. Er gehört dem Büro.«
» Ich hab ihn nur ausgeborgt.«
» Guy, ich bin sehr enttäuscht von dir. Ich habe keine Ahnung, wo du bist, aber du wirst heute Abend nach Hause kommen und den Computer mitbringen.«
» Och, Mum …«
Ich fragte mich, wie alt Guy eigentlich wirklich war. Wegen seiner Größe und seiner kräftigen Gestalt hatte ich immer angenommen, er sei weit über zwanzig, mindestens so alt wie Rex, aber jetzt fragte ich mich zum ersten Mal, ob er vielleicht jünger war als wir alle, um Jahre jünger, ein Teenager noch.
» Nichts ›och, Mum‹. Um acht wird gegessen. Ich erwarte, dass du mit dem Computer dann hier bist. Hast du verstanden?«
» Denk schon.«
Rex, Biba und ich wechselten einen Blick im Dreieck, und ich wusste, dass gleich ein lautes Gelächter losgehen würde, wenn wir den Blickkontakt nicht sofort beendeten. Ich konzentrierte mich auf ein Bierglas voll Zigarettenstummel und Joints, das mitten auf dem Boden stand. Meine Lungenflügel blähten sich von der Anstrengung des Stillbleibens.
» Möchtest du Shepherd’s Pie oder lieber Lasagne?«
» Shepherd’s Pie.«
Ich fühlte, dass Biba neben mir Krämpfe bekam. Ein Lachen sprudelte über Rex’ Lippen, und dann war alles zu spät.
» Vielen Dank. Ich nehme nicht an, dass du mir sagen wirst, wer da am Telefon war. Nein, sag es mir nicht. Ich will es gar nicht wissen. Wir müssen wirklich ein Gespräch über deine Zukunft führen, Guy.«
Guy schob die biegsame Antenne des Telefons zurück und brachte seine Mutter mit einem Piepton zum Schweigen. Er zog die Schultern hoch, und unser Gelächter prallte von seinem breiten
Weitere Kostenlose Bücher