Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
reckte, um zu sehen, was im Garten oder auf der Balkonterrasse vorging, und Rex vertrat die Theorie, es sei nur noch eine Frage der Zeit, wann er anfinge, Fotos zu machen. Scherzhaft behaupteten wir, er habe in seinem Haus ein ganzes Zimmer mit lauter Geräuschmessapparaten und Flipcharts, auf denen der Grad unserer Straffälligkeit grafisch dargestellt wurde.
» Er hat bestimmt eine Grafik mit so einer roten Zickzacklinie, die dann steil nach unten geht«, vermutete Biba. » Sie zeigt an, wie das Niveau dieser Gegend unseretwegen gesunken ist. Und das Ganze heißt Der Niedergang der Nachbarschaft.«
» Obwohl ihr etliche Jahre länger hier wohnt als er«, stellte ich fest.
» Genau«, sagte Biba und schrie durch ein Astloch im Zaun: » Hast du das gehört, Wheeler? Wir waren zuerst da!«
Wheeler machte keine Fotos, und er hatte auch kein Zimmer mit Überwachungsgeräten, aber seine Aufmerksamkeit für Details hatten wir nicht unterschätzt. Alles kam in sein Buch, in blauer Tinte auf weißem Papier, in Moleskin gebunden, die Seiten wie auch Rex’ Schicksal besiegelt mit einem kleinen Lederriemen. Als Rex verhaftet wurde, kam von nebenan sofort dieses Buch. An diesem Abend notierte Wheeler einen deutlich wahrnehmbaren Marihuanageruch zwischen 22 und 1 Uhr sowie eine Unterhaltung unmittelbar vor den Zimmern seiner Kinder, die sie am Einschlafen gehindert habe. Er schrieb, er habe zwei Männerstimmen und eine Frauenstimme gehört. Mich erwähnte er nicht, aber ich bin sicher, ich habe an diesem Abend genauso viel geredet wie alle anderen.
Als es klopft, stehe ich oben im Unterhemd und föhne mir das Haar. Ich verfluche Rex, weil er seinen Schlüssel vergessen hat, nehme den Ersatzschlüssel aus meinem Nachttisch und will ihn mit ein paar vorwurfsvollen Worten hinunterwerfen. Aber was ich sehe, als ich mich aus dem Fenster beuge, lässt mich jäh vom Fenster zurückspringen. Ein Polizeiwagen der Suffolk Police steht vor dem Haus. Zwei uniformierte Polizisten, die Arme verschränkt, die stämmigen Beine gespreizt, stehen in einigem Abstand vor der Haustür und schauen hinauf zu den Dachtraufen und den Fenstern darunter, und ihre Blicke wandern an der Häuserzeile hin und her, als versuchten sie herauszufinden, in welchem der Häuschen ich verborgen bin. Ich kauere mich auf den Boden, als müsste ich vor Scharfschützen in Deckung gehen, ziemlich unelegant in meiner bunt zusammengewürfelten Unterwäsche und mit einer dicken Rundbürste, die in eine Haarsträhne über meiner Stirn eingewickelt ist. Trotz meiner Angst bin ich auch dankbar, dass Rex und Alice noch im Schwimmbad sind. Was immer jetzt passiert, so werden sie es nicht erfahren.
Wenn man eine Minute lang wie ein Frosch am Boden hockt, wird es unbequem. Ich stehe wieder auf, aber bevor ich es wage, noch einmal aus dem Fenster zu schauen, greife ich nach dem übergroßen T-Shirt, das hinten auf meiner Frisierkommode liegt, und ziehe es unbeholfen über den Kopf. Die Bürste verheddert sich, und die Borsten kratzen über meine Stirn. Als ich die Locke entwirrt habe, hat sich draußen auf der Straße etwas getan. Ich öffne das Fenster und lasse die Stimmen zu mir heraufsteigen, und langsam begreife ich, dass das Haus, an dem die Polizisten hinaufrufen, nicht meins ist und dass sie nicht an meine Tür hämmern, sondern an die Tür des übernächsten Hauses auf der linken Seite. Geräusche tragen weit bei diesen Reihenhäusern; schon oft habe ich die Tür geöffnet, weil es geklopft hat, und dann gesehen, dass eine meiner Nachbarinnen jemanden vor ihrem Haus begrüßt. Ich schaue aus dem Schlafzimmerfenster; so brauche ich keinen Bademantel anzuziehen und bringe meinen Tag nicht durcheinander.
» Kommen Sie schon, Dave«, sagt einer der Polizisten. » Sie wissen doch, worum es geht.«
Ich höre das Klicken des Türschlosses und spüre die Vibrationen der aufschwingenden Tür, als Dave zwei Häuser weiter links herauskommt. Er geht auf die Polizisten zu, für dieses Wetter nur leicht bekleidet mit einem Fußballtrikot und einer grauen Jogginghose. Einer der Polizisten sagt etwas zu ihm, und Dave verschwindet wieder im Haus und kommt nach ungefähr einer Minute zurück. Jetzt hat er eine große braune Fleece-Jacke an. Sein Hals ist in dem kapuzenartigen Kragen nicht mehr zu sehen.
Erst als Dave mit dem Polizeiwagen abtransportiert wird, sehe ich den weißen Micra. Der Fahrer hockt auf der Motorhaube, und jetzt sehe ich, dass es eine Frau ist. Das Tuch, das
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