Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
aus einem riesigen unterirdischen Kellergewölbe an. Vielleicht tat sie es auch.
» Sind die anderen bei dir?«, fragte ich.
» Hm? Nein, sie sind im Chateau und trinken. Ich glaube, sie sind ein bisschen nervös.« Sie sprach in dem munteren, abgelenkten Tonfall, den sie benutzte, wenn sie selbst nervös war. Ich klemmte den Hörer zwischen Kinn und Schulter und riss die Umschläge auf: 2,1. Alle drei.
» Na, das ist doch respektabel«, sagte sie. » Und du?«
» Erste Klasse«, sagte ich.
» Bravo.« Sie klang forsch und geschäftsmäßig. » Was macht das Haus?«
» Ach, du weißt schon. Läuft alles so. Wann kommt ihr zurück?«
Ihre Antwort würde über die neue Frist entscheiden, die ich mir geben würde, um zu beschließen, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen würde.
» Wie es jetzt aussieht, eher Anfang Oktober als Ende September. Charlie muss dann wieder arbeiten; also können wir genauso gut bis dahin warten und zusammen zurückkommen. Davon abgesehen ist ja keine Eile. Ich meine, einen solchen Sommer werden wir ja nie wieder haben, oder?« Wir tauschten noch ein paar Lügen darüber aus, wie sehr wir uns auf das Wiedersehen freuten, und dann beendeten wir das Gespräch. Es war das letzte Mal, dass ich mit ihr gesprochen habe.
Ich trödelte noch eine Weile herum, bevor ich zurückging. Die milde Abendsonne vergoldete das Esszimmer und alles, was darin war. Rex saß mit dem Rücken zum Fenster, und als ich sah, wie das Licht kupferrote und rehbraune Haarsträhnen leuchten ließ, fragte ich mich, wie irgendjemand solche Haare mausbraun oder farblos nennen konnte. Er leuchtete auch von innen, von einem einfachen Glück, dem er, wie ich glaube, sein Leben lang nachgejagt war und das er schließlich in der banalen Umgebung eines Vorort-Esszimmers gefunden hatte. Nie hatte er für mich schöner ausgesehen als an diesem Abend. In den Monaten unmittelbar nach unserer Trennung erinnerte ich mich vorzugsweise so an ihn– leuchtend, lebendig, nicht so, wie ich ihn zuletzt sah: weiß und angespannt und schon auf dem Weg dahin, ein Geist seiner eigenen Möglichkeiten zu werden.
Um zehn Uhr behaupteten meine Eltern, die aus einem Land gekommen waren, das der britischen Sommerzeit nur um eine Stunde voraus war, sie litten unter dem Jetlag. Sie zogen sich in das große Schlafzimmer mit Bad zurück, das Sarah gehört hatte, und endlich gehörte das Haus mir und Rex.
» Haben sie mich gemocht?«, fragte er und hockte sich auf die Sofakante.
» Sie haben dich geliebt. Ich glaube, sie finden dich besser als mich.«
» Es erklärt eine Menge, sie so kennenzulernen«, sagte er, und ich erstarrte. » Woher du deine Kraft und Integrität hast. Das kommt offenbar davon, wenn man Eltern wie deine hat– die noch zusammen sind und die dich lieben und stolz auf dich sind.«
Er zündete die dicken weißen Kerzen an, die auf hüfthohen schmiedeeisernen Leuchtern rechts und links neben dem Kamin und in den Ecken des Zimmers standen. Diese Kerzen standen an ihrem Platz seit dem Tag, als wir in dieses Haus eingezogen waren, und niemand hatte ihren Docht jemals mit einer Flamme berührt. Ich nahm mir vor, ein paar davon nach Highgate mitzunehmen, wo sie jeden Abend brennen würden. Die Flammen spiegelten sich in einem verglasten Bilderrahmen auf dem Kaminsims. Er enthielt ein Foto von Sarah, Claire, Emma und mir mit unseren damaligen Freunden und porträtierte eine Version meiner selbst, die ich nicht mehr erkannte: auf gesunde Weise betrunken, frische Strähnchen im sauber geschnittenen Haar, mit einem pinkfarbenen Pashminaschal über den Schultern und Diamantsteckern in den Ohrläppchen. Simons Arm hatte meinen Nacken in einen kumpelhaften Schwitzkasten genommen. Das Lächeln auf meinem Gesicht war damals durchaus echt gewesen, aber jetzt sah das ganze Tableau aus wie eine Kostümprobe für das wirkliche Leben. Rex verfolgte mit der Fingerspitze die Umrisse meines Gesichts in dem Staub, der sich auf der Glasscheibe abgesetzt hatte.
» Ist er das?«, fragte er. Ich nickte.
» Das ist mein altes Leben, da auf diesem Bild«, sagte ich.
» Hast du ihn mehr geliebt als mich?« Die Eifersucht, mit der er seine Schwester bewachte, richtete sich zum ersten Mal auf mich.
» Rex! Ich habe ihn überhaupt nicht geliebt. Ich bin nicht mal sicher, ob ich ihn auch nur mochte. Er war einfach etwas, womit ich mich beschäftigt habe. Wie Tennis.«
Seine Hände lagen auf meinen Wangen. Ich ließ sie da bleiben, denn einer oder
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