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Das giftige Herz

Das giftige Herz

Titel: Das giftige Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Doyle
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etwas Niederes dabei. Ich sollte es beichten. Andererseits, wenn Gott mich in Versuchung führt, macht er sich dann nicht mit dem Teufel gemein …? Und wo gab’s hier im protestantischen Nürnberg schon eine Kirche zum Beichten?
    Es klopfte an seiner Zimmertür. Wanner schrak zusammen und ließ die Gardine zufallen. Wenn man so zusammenzuckt, fühlt man sich schuldig, entschied er. Dann räusperte er sich und rief: »Ja, bitte?«
    Die Tür ging langsam auf, und Frau Esslingers Kopf erschien. Mit ihr drang ein kalter Hauch aus dem Treppenhaus ins Zimmer.
    »Herr Wanner, könnten Sie nochmal bitte?«
    Der Inspektor seufzte: »Ich komme.«
    Er folgte der kleinen alten Frau die knarrende steile Stiege hinunter. Frau Esslinger brauchte sehr lange für die Stufen. Durch die kalte Diele gingen sie in die überheizte Küche.
    »Sie hätten mich doch von unten rufen können, Frau Esslinger«, sagte Wanner.
    »Aber das hab ich doch«, sagte Frau Esslinger. »Sie haben’s nicht gehört, Herr Inspektor.«
    Wanner spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss.
    Er folgte seiner Hauswirtin in die Küche. Dort brannte ein Adventskranz mit drei Kerzen. Schon der dritte Advent, dachte Wanner unbehaglich. Er freute sich nicht aufs Weihnachtsfest. Frau Esslinger zündete eine Lampe an, und es wurde strahlend hell in der Küche. »Ich hab jetzt Gas hier unten«, hatte sie ihm stolz erklärt, als er bei ihr um eine Unterkunft angefragt hatte. »Aber nur im Erdgeschoss, oben brauchen Sie Kerzen, wenn’s Ihnen nicht zu mühsam ist.«
    Kerzen waren ihm recht gewesen. Weniger recht war ihm allerdings, dass er Frau Esslinger neuerdings bei der Weihnachtsbäckerei helfen musste. Auf dem mit Mehl bestäubten Küchentisch lag ein Backblech, auf dem sie einen Lebkuchenteig ausgerollt hatte. Neben dem Backblech hatte sie auf dem Tisch eine zweite Hälfte Teig ausgerollt.
    »Oh«, sagte sie. »Ich muss ja noch die Füllung aufstreichen. Entschuldigen Sie, Herr Inspektor. Nur einen kleinen Moment. Setzen sie sich doch.«
    Seufzend machte es sich Wanner auf dem Küchenstuhl bequem. Das ist die Strafe für meine Sünden, dachte er.
    Frau Esslinger griff nach einer braunen Keramikschüssel, die auf der ausgezogenen Arbeitsplatte des mächtigen Küchenschranks stand, und rührte mit einem Kochlöffel energisch darin herum.
    »Sie machen gefüllte Lebkuchen? « , fragte Wanner, nur um irgendetwas zu sagen.
    »Ja«, sagte Frau Esslinger ächzend. »Das ist was Besonderes. Das Rezept hab ich von der Frau des Apothekers an der Ecke, Sie wissen schon. Es macht ein bisschen mehr Arbeit, aber wenn meine Kinder mit ihren Kindern am Weihnachtstag kommen, dann wollen ja alle immer nur diese essen.« Sie blickte ihn stolz an.
    »So, so«, sagte Wanner, dessen Gedanken schon wieder zurück zu dem Alabasterleib der schönen jungen Nachbarin drängten. »Und was ist alles drin?«, fragte er, um sich abzulenken.
    »Na, Rosinen und Korinthen natürlich und Mandeln, Zitronat und viel Johannisbeergelee.«
    »Donnerwetter«, sagte Wanner. »Da können sich ihre Enkel ja satt essen.«
    »Aber Herr Inspektor«, sagte Frau Esslinger vorwurfsvoll. »Man soll sich nicht satt essen mit Lebkuchen. Das wäre doch eine Sünde.«
    Na, da gibt’s wohl Schlimmeres, dachte Wanner unbehaglich. Frau Esslinger begann, die durchgemengte Masse mit dem Kochlöffel über den Lebkuchenteig auf dem Backblech zu streichen. Als sie damit fertig war, musste Wanner aufstehen und den auf dem Tisch liegenden Teig an zwei Enden anfassen. Die beiden anderen Enden nahm seine Wirtin, und gemeinsam deckten sie die Füllung ab. Dann öffnete Frau Esslinger den Backofen, und Wanner musste das Blech, das nun wirklich zu schwer war für die zierliche alte Frau, hineinschieben.
    »Es dauert nicht lange«, sagte Frau Esslinger. »Möchten Sie vielleicht solange einen Obstbrand trinken, Herr Inspektor?«
    Wanner hätte schon Lust darauf gehabt, lehnte das teuflische Getränk aber mit halbwegs würdevoller Miene ab.
    »Das ist schade«, sagte Frau Wanner. »Wo ich doch so einen guten habe, den mein Sohn selbst gebrannt hat.«
    »Dann geben Sie halt einen her, in Gottes Namen!«, stieß Wanner hervor.
    Seine Wirtin blickte ihn an: »Aber was denn … doch gern«, sagte sie verwirrt und holte die Flasche aus dem Küchenschrank, dessen Glastüren mit kleinen bestickten Gardinen verhängt waren. Hinter den Gardinen verstecken sich die Versuchungen, dachte Wanner. Und da stand auch schon das Gläschen mit dem

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