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Das giftige Herz

Das giftige Herz

Titel: Das giftige Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Doyle
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Obstler vor ihm, und er stürzte es hastig in einem Zug hinunter.
    Frau Esslinger begann, ein weiteres Stück Lebkuchenteig auf einem zweiten Blech auszurollen. Dann kam wieder die Füllung, und anschließend half Wanner wieder beim Auflegen der zweiten Schicht.
    Frau Esslinger verrührte nun den Puderzucker mit dem heißen Wasser, kippte etwas von dem Obstler dazu und bereitete so die Glasur vor. Wanner geriet ins Grübeln. Er dachte an sein Gespräch mit dem Oberrat und dem Gerichtsmediziner im Leichenschauhaus. Es hatte zwischen zwei aufgebahrten Leichen stattgefunden.
     
    »Sind Sie ganz sicher?«, hatte Oberrat Schreiber gefragt.
    »Aber ja«, entgegnete Doktor Seidel. »Zweifellos Amygdalin, in beiden Fällen.«
    »Sie sind beide auf die gleiche Art zu Tode gekommen?«, fragte Schreiber, der es offensichtlich nicht glauben konnte.
    »Ganz recht.«
    »Aber das ist doch … eigenartig«, sagte Schreiber verwirrt.
    »Bemerkenswert«, sagte Wanner nüchtern.
    Schreiber sah ihn böse an: »Das ist keine schöne Koinzidenz«, sagte er tadelnd.
    »Ein Mord ist immer eine unschöne Koinzidenz«, erklärte Wanner. Die offensichtliche Nervosität des Oberrats beunruhigte ihn, aber er wollte sich keinesfalls etwas anmerken lassen.
    »Mord?«, fragte Schreiber. »Können wir denn schon von Mord sprechen? Könnte es nicht auch ein Unfall sein?«
    Er will es schönreden, dachte Wanner.
    »Zwei Unfälle mit Amygdalin im Winter?«
    »Vielleicht ist Gift im Umlauf«, sagte der Oberrat. »Bei den vielen neuen Fabriken in der Vorstadt. Man weiß doch gar nicht so genau, mit welchen Tinkturen die arbeiten.«
    Tinkturen, dachte Wanner, seit wann werden denn in Fabriken Tinkturen verwendet?
    Doktor Seidel räusperte sich: »Da ist noch etwas, meine Herren.«
    »Noch etwas?« Man sah dem Oberrat an, dass er am liebsten keine Neuigkeiten mehr hören wollte.
    »Ja, es scheint mir sehr wichtig, vielleicht sogar ein entscheidender Hinweis …«, druckste der Arzt herum.
    »Was entscheidend ist, beurteile doch wohl ich«, sagte der Oberrat.
    »Das Lebkuchenherz …«, sagte der Arzt und stockte.
    Wanner unterdrückte ein Lächeln. Er hatte so eine Ahnung, dass der nächste Satz dem Oberrat gar nicht gefallen würde.
    »Ich habe unzweideutig herausgefunden, dass das Stück Lebkuchen, welches sich im Mund des Jungen befand, genau an die Stelle passt, wo sich im Lebkuchenherz des Herrn Rat eine Lücke befindet.«
    »Was reden Sie denn da für wirres Zeug?«, empörte sich der Oberrat.
    »Er wollte sagen, dass der Junge ein Stück vom Lebkuchen Ehrenhoffs abgebissen hat und daran starb.«
    »Das ist doch … unmöglich und lächerlich.«
    »Es gibt zwei Bissstellen im Lebkuchenherz«, sagte Wanner. »Und zwei Personen haben abgebissen, und Doktor Seidel konnte anhand der Bissspuren und Form der Stücke nachweisen, dass sowohl der tote Junge als auch Ehrenhoff davon abgebissen haben.«
    »Das Herz ist durchtränkt mit Amygdalin«, sagte Doktor Seidel. »Sie haben beide davon gegessen und sind daran gestorben.«
    »Aber … ein giftiges Herz?« Schreiber blickte entsetzt auf die Leichen. »Beide …?«
    »Ich kann nur die medizinischen Tatsachen nachweisen. Für die Schlussfolgerungen sind Sie zuständig.«
    Oberrat Schreiber hatte Wanner unglücklich angesehen und sich dabei auf die Lippen gebissen.
    Zum Abschied hatte der Mediziner dem Inspektor noch etwas Kleines, Pelziges in die Hand gedrückt.
    »Was ist das?«
    »Eine Hasenpfote, die der Junge in der Hosentasche hatte.«
    »Was soll ich denn damit?«
    Doktor Seidel zuckte mit den Schultern und wandte sich ab. Wanner steckte die Pfote in die Manteltasche und ging.
     
    »Jetzt muss das Blech aus dem Ofen«, sagte Frau Esslinger und riss den Inspektor aus seinen Grübeleien.
    Wanner stand auf und zog die Tür des Backofens auf. Frau Esslinger reichte ihm gestrickte Topflappen, und Wanner holte das Blech heraus.
    »Das ist aber ein großer Lebkuchen«, sagte er.
    »Er wird doch später noch zerschnitten.«
    Wanner stellte es auf den Küchentisch, und während er das andere Blech in den Ofen schob, begann seine Wirtin schon damit, mit einem Pinsel den Guss auf den fertig gebackenen Lebkuchen zu streichen.
    Wanner schloss den Backofen, richtete sich auf und drehte sich wieder um. Sein Blick fiel auf den Küchentisch.
    »Nanu«, sagte er, »Sie haben ja noch ein Lebkuchenherz gemacht.«
    »Ja, es war noch Teig übrig. Ich hab solche Herzen mal beim Bäcker Dunkel gesehen. Herzen werden ja

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