Das giftige Herz
nicht so oft gemacht, eher Weihnachtsmänner und Pferdchen oder Rentiere mit Schlitten oder so etwas.«
»Beim Bäcker Dunkel haben Sie Herzen gesehen?«, fragte Wanner.
»Ja. Hübsch hat er die gemacht. Aber meins hier ist auch ganz schön, finden Sie nicht?«
»Wo ist denn die Bäckerei Dunkel?«
»Na, in der Wunderburggasse, direkt neben dem Goldenen Hufeisla. Aber wenn Sie ein Herzl wollen, können Sie gern dies hier haben, wenn’s fertig ist.«
»Danke«, sagte Wanner. »Ich nehme erst mal noch einen Obstbrand.«
»Gern, Herr Inspektor.«
8 DIE GIERIGE MAGD
Auf und ab durch die kurvigen Gassen, und immer wieder nach dem Weg fragen. Jacques Pistoux verfluchte atemlos, ächzend und schwitzend diese verwinkelte uralte Stadt, in der sich kein Fremder zurechtfinden konnte. Die Häuser drängten sich verschwörerisch zusammen, als wollten sie verhindern, dass er den richtigen Weg fand. Hinzu kam der Schnee, der über Nacht in großer Menge gefallen war. Wie sollte man da einen Handkarren ganz allein hinauf- und wieder hinunterziehen? Zwar hatten viele Bürger auf der Gasse vor ihrem Haus einen Pfad durch den Schnee freigeräumt, aber es war dennoch sehr glatt. Und besonders da, wo der Weg steil wurde, hatte bis zu dieser Morgenstunde noch niemand den Schnee beiseite gefegt.
Der Karren war bis oben hin beladen mit Kisten, in denen bunte Kartons und reliefartig verzierte Blechkisten mit sorgsam verpackten Lebkuchen jeder Art lagen. Die Bäckerei Dunkel hatte in einigen Patrizierhäusern einen guten Ruf. Aber man kaufte nur in der Adventszeit dort ein. Die übrige Zeit des Jahres ignorierte man die Arbeit des Bäckers, der deshalb Jahr für Jahr aufs Neue in finanzielle Schwierigkeiten geriet.
»Das meiste Geld verdienen wir in der Weihnachtszeit«, hatte Friedrich Dunkel erklärt, während sie beim Brotbacken waren. »Die übrige Zeit im Jahr zehren wir vom Verdienst der wenigen Wochen. Ein bisschen kommt noch dazu durch die Verkäufe nach außerhalb, aber der Händler behält den Löwenanteil selbst.«
Man müsste sich einige Spezialitäten für andere Jahreszeiten einfallen lassen, hatte Pistoux gedacht, aber lieber den Mund gehalten. Er war nur auf der Durchreise, es war nicht seine Aufgabe, dem Bäckermeister Vorschläge zu machen, wie er seinen Betrieb führen sollte.
»Es wird immer schwieriger«, hatte Dunkel geklagt. »Die großen Bäckereien konkurrieren heftig miteinander, und manche denken nur noch daran, möglichst viele Lebkuchen zu verkaufen. Und weil Honig, Mandeln und Nüsse teuer sind, verwenden sie immer mehr Mehl. Jetzt wird sogar schon der Teig mit Zuckersirup gefärbt, damit man nicht gleich bemerkt, dass nichts als Mehl drin ist.«
»Das müsste man den Menschen doch sagen«, meinte Pistoux.
»Ja, sicher. Ich sag’s ihnen ja beziehungsweise meine Frau. Aber wir haben wenige Kunden, es spricht sich nur langsam herum.«
»Man müsste Plakate aufhängen«, schlug Pistoux vor, »und im Schaufenster Reklame machen.«
»Das würde der Innung aber gar nicht gefallen, wenn wir uns derart hervortun«, meinte Dunkel resigniert.
»Nur der Schaller, der darf machen, was er will«, warf seine Frau ein.
»Der hat ja auch eine Fabrik.«
»Und deshalb darf er machen, was er will?«
»Ein Fabrikant untersteht anderen Gesetzen.«
»Aber er ist doch dennoch ein Bäcker.«
»Meinst du das wirklich ernst?«
»Er verkauft sogar Lebkuchen.«
»Lebkuchen nennst du das?«
»Er nennt es so.«
Pistoux hatte dem Streit des Bäckerehepaars erstaunt zugehört. Sie kamen öfter auf diese Fabrik zu sprechen.
Friedrich Dunkel bemerkte seinen fragenden Blick und erklärte mit tiefer Verachtung in der Stimme: »Man macht uns Angebote.«
»Ach lass doch, Friedrich«, sagte seine Frau.
»Warum soll er es nicht wissen, er hat den Kerl doch selbst gesehen.«
Pistoux knetete den Brotteig weiter, der vor ihm auf dem Tisch lag.
»Der Mann, der neulich hier war, mit der Einladung von Leopold Schaller«, erklärte Dunkel, »das war sein zweiter Direktor. Bisher hat er nur Boten geschickt. Wenn es so weitergeht, wird er wohl bald selbst kommen.«
Pistoux wusste nicht, was er dazu sagen sollte, und schwieg.
»Er will unser Rezept«, sagte der Bäcker, und auf seinem Gesicht breitete sich einfältiger Stolz aus. »Das von dem Elisenkuchen.«
»Lass doch, Friedrich, du wirst dich noch verplappern.«
» Dunkels Elisenlebkuchen sind berühmt in der Stadt. Aber wir machen nur so viel, wie bestellt werden.
Weitere Kostenlose Bücher