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Das giftige Herz

Das giftige Herz

Titel: Das giftige Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Doyle
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seiner Notlage erfuhr.«
    Wanner nickte: »Ich danke Ihnen, Herr Schaller.«
    Der Inspektor hatte sich schon verabschiedet und war auf dem Weg zur Tür, neben der der Diener wartete, da drehte er sich noch einmal um: »Ach, Herr Schaller …«
    »Ja?«
    »Haben Sie jemals einen Totenkopf in Ehrenhoffs Arbeitszimmer gesehen?«
    »Einen Totenkopf?« Schaller schien ehrlich erstaunt. »Nein.«
    »Danke nochmals und auf Wiedersehen.«
    Der Diener hielt dem Inspektor die Tür auf und sah ihm nach, als er die breiten Treppenstufen zum wartenden Schlitten hinabstieg.
    Wanner setzte sich hinein und zog zufrieden die Wolldecke bis zum Hals. Der Schlitten ruckte an und fuhr davon.

18 KINDER DER NACHT
    »Ich bin Keiner, das ist Nichts, und er heißt Schwarz. Wir waren mal zu fünft, aber Staub ist tot, und Niemand wurde entführt.«
    Pistoux sah die Kinder neugierig an. Keiner, der Anführer, war höchstens zwölf Jahre alt. Schwarz, der zweite Junge, vielleicht zehn. Und das kleine Mädchen acht. Sie trugen schmutzige Kleider, die man schon eher Lumpen nennen konnte und sie notdürftig warm hielten. Der Unterschlupf der Kinder war kaum mehr als eine Höhle und befand sich im Kellerraum eines teilweise zerfallenen Turms der äußeren Mauer mit einem Zugang vom Stadtgraben aus. Der Zugang wurde von einer morschen Tür verdeckt, dessen Scharniere die Kinder jeden Tag hingebungsvoll ölten, damit sie nicht zu quietschen anfingen und sie verraten würden. Es gab noch einen zweiten Ausgang durch einen Spalt in der Mauer, vor dem ein Teppich hing.
    Da sie kein Feuer machen wollten, um nicht entdeckt zu werden, war es im Keller recht kalt. Aber die Kinder hatten sich im Laufe der Zeit alte Teppiche, Decken, Kissen und Matratzen zusammengesucht und den Kellerraum mit Hilfe von Stroh so gut es ging abgedichtet. Und dank der großen Kerzen, die in den Ecken und auf den als Tischen dienenden Kisten standen, wurden zumindest der Frost vertrieben und die Finsternis besiegt. In einer Ecke bemerkte Pistoux eine Kiste, über die eine weiße Tischdecke gelegt war. Darauf stand ein Adventskranz, und daneben eine Schale mit Äpfeln und Nüssen. Über diesem Arrangement hing an der Wand ein Kruzifix. Gegenüber hingen die Flügel und das Gewand des Rauschgoldengel-Kostüms an der Wand, mit dem die Kinder Pistoux an der Nase herumgeführt hatten. Er lächelte. Sicherlich war er nicht der Einzige gewesen, den sie auf diese gewitzte Art bestohlen hatten.
    Pistoux saß auf einer Kiste und blickte die drei verlorenen Kinder an. Das Mädchen hatte sich in eine Wolldecke eingemummt, während der Älteste einige Kerzen angesteckt hatte. Der Junge, der sich Schwarz nannte, holte eine Flasche aus einer Ecke und stellte sie auf eine Kiste, die als Tisch diente. Dann stellte er vier kleine Gläschen dazu und schenkte eine goldbraune Flüssigkeit aus.
    »Das ist Rum«, sagte Keiner stolz. »Der kommt aus Indien.«
    »Ihr trinkt Alkohol?«, fragte Pistoux.
    »Wir können ja nichts Warmes kochen. Also müssen wir etwas trinken, das uns von innen warm macht. Jeder bekommt am Abend ein kleines Glas, jedenfalls solange es Winter ist. Wir betrinken uns nicht«, sagte er stolz. »Sonst werden wir gefangen.«
    »Wie lange lebt ihr schon hier?«, fragte Pistoux, während er sein Gläschen mit Rum entgegennahm.
    »Seit November, als es kalt wurde. Vorher haben wir draußen vor der Stadt in einer Hütte im Wald gelebt. Gar nicht weit von hier. Von dort aus konnten wir jeden Tag in die Stadt kommen, um uns zu versorgen. Aber es ist zu anstrengend, im Winter dorthin zu gelangen. Im Frühling gehen wir wieder in den Wald.«
    Keiner hob sein Glas: »Wir trinken auf unsere Freiheit!« Und an Pistoux gewandt fügte er hinzu: »Das tun wir jeden Abend.«
    Pistoux griff ebenfalls nach seinem Glas und sagte: »Auf eure Freiheit, Kinder.«
    »Auf deine trinken wir auch«, korrigierte ihn Keiner.
    »Auf unsere Freiheit«, sagte Schwarz.
    Auch das Mädchen mit den blonden Locken trank sein Glas in einem Zug aus. Dann hustete sie und kuschelte sich noch tiefer in ihre Decke ein.
    »Warum habt ihr so eigenartige Namen?«, fragte Pistoux.
    »Ich bin Keiner, weil keiner sich um mich kümmert«, sagte der Anführer. Dann deutete er auf das Mädchen: »Das ist Nichts, weil ihre Familie sie vergessen hat. Das da ist Schwarz, weil er schwarze Haare hat. Staub trug seinen Namen, weil er den Erwachsenen nichts wert war. Und Niemand wurde von allen übersehen.«
    »Keiner hat uns die Namen

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