Das giftige Herz
Damit er Niemand freilässt.«
Pistoux ließ die Trommel wieder einschnappen und blickte den Revolver skeptisch an.
»Das ist riskant.« Aber immer noch besser, als jemanden versehentlich und ohne ausreichenden Grund zu erschießen, dachte er bei sich.
»Du musst ihm damit Angst machen«, sagte das Mädchen.
»Ja, genau«, stimmte Schwarz ihr zu.
19 DIE K NOCHENHAND
Frau Ehrenhoff war eine beeindruckende Erscheinung. Inspektor Wanner wurde von einem Hausmädchen in den Salon geführt und hielt kurz den Atem an, als er ihr plötzlich gegenüberstand. Mit ihrem dunklen Teint und dem klassischen Profil wirkte sie wie eine römische Fürstin. Sie trug ein hochgeschlossenes, eng anliegendes, schwarzes Kleid mit Puffärmeln, das neben der Schönheit seiner Trägerin ebenfalls zur Verwirrung des Inspektors beitrug: Vom Hals bis zum Saum verlief genau in der Mitte eine auffällige Knopfreihe. Wanner stellte sich vor, wie lange es wohl dauern musste, bis diese Reihe aufgeknöpft war und die Dame sich ihres Kleids entledigen würde, und in welchem Zustand diese leicht verblühte Rose sein würde, wenn sie von ihren äußersten Blütenblättern befreit war …
»Guten Tag, Inspektor.« Sie hatte eine dunkle, warme Stimme.
»Mein aufrichtiges Beileid, gnädige Frau.« Es hätte nicht viel gefehlt, und Wanner hätte die Hacken zusammengeschlagen, denn diese Dame flößte ihm mehr Respekt ein als alle seine Vorgesetzten zusammen.
Sie nickte ernst und deutete auf einen gepolsterten Stuhl gegenüber ihres Lehnstuhls: »Ich bitte Sie, setzen Sie sich doch.«
Wanner machte es sich bequem, wobei er darauf achtete, nicht zu steif und auch nicht zu flegelhaft zu wirken.
»Darf ich Ihnen einen Tee anbieten?« Frau Ehrenhoff deutete auf das silbern glänzende Service auf dem Teetischchen neben sich.
Wanner hob abwehrend die Hände: »Oh, nur keine Umstände.«
»Bitte«, sagte Frau Ehrenhoff, und das Zimmermädchen, das den Inspektor hereingeleitet hatte, brachte ihm eine Tasse Tee, die sie auf ein kleines Tischchen neben ihm stellte.
»Sie sollten auch unser herrliches Früchtebrot versuchen, Inspektor. Es ist etwas Besonderes, unsere Hedwig backt es für uns.«
Hedwig kann backen, dachte Wanner, und fragte sich im gleichen Moment, warum er darüber eigentlich erstaunt war.
Das Mädchen brachte ihm ein Stück vom Früchtebrot und stellte den Teller neben die Teetasse. Wanner brach sich umständlich ein Stückchen davon ab und führte es zum Mund. Es war ihm peinlich, dass Frau Ehrenhoff ihm dabei zusah. Er verschluckte sich und musste husten.
»Entschuldigen Sie.« Er trank einen Schluck Tee und fragte sich, ob es falsch war, die Untertasse einfach auf dem Tischchen stehen zu lassen. Er stellte die Tasse klirrend zurück und war nun vollends verlegen. Wie sollte er unter diesen Umständen seine Fragen stellen?
Frau Ehrenhoff warf dem Mädchen einen kurzen Blick zu, worauf es sich zurückzog.
»Oberrat Schreiber hat mir Ihren Besuch angekündigt, Inspektor.«
Wanner nickte höflich.
»Er sagte, Sie seien mit den Ermittlungen bezüglich des Todes meines Mannes beauftragt, und er hätte vollstes Vertrauen zu Ihnen.«
»Vielen Dank.«
»Er versicherte mir außerdem, dass Sie zum Schweigen verpflichtet sind.«
»Ganz recht.«
»Er sagte, es könnte passieren, dass sie mir schmerzliche Fragen stellen.«
»Ich bitte Sie schon jetzt, mir zu verzeihen.«
»Ich habe meinen Mann selten gesehen. Er hat sich um sein Handelsunternehmen gekümmert und um die Belange der Stadt. Er ist morgens vor mir aufgestanden und abends nach mir ins Bett gegangen. Nur bei offiziellen Anlässen waren wir uns nahe. Aber dann trug er diesen entsetzlichen, breiten Halskragen, der wie ein Schutzwall wirkte …« Sie brach ab und blickte nachdenklich vor sich hin. Dann fuhr sie fort: »Ich habe meinen Mann immer nur in Halskrause und Spitzhut gesehen. Wenn wir zusammentrafen, war er immer nur verkleidet, dabei haben wir das Nachtlager miteinander geteilt …«
Wanner aß hastig den Rest des Früchtebrots auf.
»Er war mir so bekannt und unbekannt wie eine Menge anderer Menschen, mir denen wir hier in Nürnberg zu tun haben … Ich bin nicht aus Nürnberg, wissen Sie, ich komme aus Linz.«
Sie blickte zu Boden. Wanner merkte, dass er ihr helfen musste, sonst würde sie ihm womöglich vieles erzählen, nur nicht das, was er wissen wollte.
»… der Leichnam war seit langem einmal wieder die Möglichkeit gewesen, meinen Mann eine längere Zeit
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