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Das giftige Herz

Das giftige Herz

Titel: Das giftige Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Doyle
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zu sehen. Das Mädchen winkte ihm zu, er solle kommen.
    »Komm!«
    Pistoux zuckte mit den Schultern. Was zögerte er noch? Er hatte vorgehabt, mit den Kindern zu reden, jetzt luden sie ihn ein, mitzukommen. Er folgte der Kleinen.
    Nachdem er um die Ecke gebogen war, kamen die anderen beiden. Der große Junge mit der Schirmmütze trug das Lebkuchenhaus, der kleinere die Kiste mit den Lebkuchen. Sie legten beides in den Handkarren.
    Dann sagte der große Junge: »Du hast uns schöne Geschenke gebracht, aber nun hast du selbst nichts mehr. Jetzt bist du wie wir.« Pistoux sah ihn ratlos an.
    »Du kannst mit uns mitkommen«, sagte der Junge.
    Pistoux nickte. »Das wird wohl das Beste sein.«

17 DER PROFITEUR
    Vom Straßenrand aus winkte Inspektor Wanner einen Pferdeschlitten herbei, der ihn durch das Tiergärtnertor in die nördliche Vorstadt brachte.
    Unterwegs fiel ihm auf, dass diese Gegend nicht mehr lange als nahe liegendes Ausflugsziel der Nürnberger dienen würde. Gärten und Parks verschwanden allmählich. Zum einen, weil wohlhabende Bürger hier und da ihre neuen Häuser bauen ließen, zum anderen, weil Brauereien, Manufakturen und Industriebetriebe sich hier angesiedelt hatten. Letzten Sommer hatte er hier einige Spaziergänge unternommen, und bemerkt, dass die Luft nicht mehr nur nach Blumen und Gräsern duftete, sondern auch nach Maschinenöl und unangenehmeren Dingen.
    Der Fortschritt ist unaufhaltsam und nicht zu bremsen. Bald wird man diese Schlitten mit Elektrizität antreiben statt mit Pferden. Und wer weiß, ob es die Menschheit eines Tages nicht schafft, aus der Welt ein Treibhaus zu machen, sodass es gar keinen Winter mehr gibt und wir unter einem Glasdach im ewigen Grün leben. Fröstelnd zog er sich die Wolldecke höher, die er sich über die Beine gelegt hatte.
    Die Villa Schaller lag in gebührendem Abstand zu dem nagelneuen Fabrikgebäude im neugotischen Stil und sah aus, als hätte der Architekt vorgehabt, der Akropolis Konkurrenz zu machen: Ionische Säulen unter einem Aetosgiebel zierten den Eingang, zu dem man breite Treppenstufen hinaufsteigen musste, auf das wuchtige Gebäude aus Steinquadern drückte eine mächtige Kuppel. Das ist ja ungeheuerlich, dachte Wanner, als er staunend aus dem Schlitten stieg, niemand baut hier so, eine Anmaßung ist das. Er bat den Kutscher, zu warten, und stieg die vereisten Treppenstufen hinauf.
    Es gab eine elektrische Klingel. Wanner drückte auf einen dicken Messingknopf, und irgendwo im Innern des Hauses dröhnten Glocken. Nach einer Weile wurde die Haustür, die zweifellos für breitere Menschen gedacht war, als er es darstellte, geöffnet, und ein junger Mann mit grau gestreifter Weste und englischem Akzent fragte: »Ja, bitte, mein Herr, Sie wünschen?«
    »Inspektor Wanner von der Kriminalpolizei. Ich wünsche Herrn Schaller zu sprechen.«
    Der Butler zog die Tür auf und ließ ihn herein. Wanner trat in eine Eingangshalle, in die durch die gläserne Kuppel helles Licht flutete. Der Diener stieg eine Treppe ohne Geländer nach oben und lief eine Galerie entlang, die von einem Bretterzaun begrenzt wurde. Ein Blick genügte, um Wanner in Erstaunen zu versetzen. Er befand sich auf einer Baustelle! Das Haus war überhaupt noch nicht fertig gestellt. Überall lag Schutt herum, Steine stapelten sich, Gerüste waren aufgebaut, Wände halb fertig gestellt, Türen fehlten. Handwerker waren jedoch keine zu sehen.
    Oben auf der Galerie im ersten Stock erschien wieder der Diener. Leopold Schaller folgte ihm.
    »Herr Inspektor?«, fragte der Fabrikant, der einen englischen Tweedanzug trug. Wanner fiel jetzt auf, dass es im Haus kalt war. Sein Atem dampfte. Leopold Schaller blieb vor ihm stehen und sah auf ihn hinab.
    Wanner deutete eine Verbeugung an: »Grüß Gott.« Er war ja wirklich kein Zwerg, aber im Vergleich zu dem geradezu mächtig gebauten Schaller wirkte er beinahe so.
    »Wir sind noch nicht miteinander bekannt. Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs?«, fragte der Fabrikant.
    »Es ist rein dienstlich«, sagte Wanner.
    »Das will ich doch annehmen.«
    Das Lächeln dieses Kerls ist kalt wie eine Messerklinge, dachte Wanner.
    »Es geht um die Mordsache Ehrenhoff.«
    »Ach, ist es eine Mordsache geworden?«, sagte Schaller, und es klang ein wenig höhnisch.
    »So ist das nun mal, aus einem Mord wird eine Sache«, antwortete Wanner philosophisch.
    »Warum kommen sie zu mir? Ich kann Ihnen in dieser Angelegenheit mit Sicherheit nicht

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