Das gläserne Paradies
wärst nur diejenige, die putzen und kochen und aufräumen darf ⦠Du wärst Hausfrau und Mutter. Und in den nächsten Jahren hättest du ständig noch eine kleine Rotznase am Rock hängen.« Ruth schüttelte traurig den Kopf. »Täusche ich mich, oder war dies nicht genau das, wovor dir immer gegraut hat? Wo sind nur all deine hochtrabenden Pläne von einer Berufsausbildung geblieben? Was hast du damals in New York nicht für Anstrengungen unternommen, eine sinnvolle Arbeit zu finden. Mich hast du als altmodisch beschimpft, weil ich dich gern mit Harold Stein verheiratet hätte. Aber ein aufstrebender Bankangestellter war dir ja zu langweilig ! Und was ist nun aus all deinen Plänen geworden?« Ruth seufzte tief auf.
Wanda glaubte nicht richtig zu hören. »Du bist ungerecht, Mutter. Daà ich mich von heute auf morgen um einen Säugling kümmern muÃ, konnte ja wohl niemand vorhersehen! Das war â Schicksal! Was gäbe ich darum, Marie am Leben zu wissen und â«
»Schicksal!« unterbrach Ruth sie. »Ich sage dir: Sein Schicksal hat jeder selbst in der Hand, zumindest zu einem gewissen Teil.«
»Ich liebe Richard«, antwortete Wanda leise. »Und er liebt mich.«
Ruth nickte. »Liebe â das ist auch so eine Sache â¦Â«
Wanda schluckte stumm. Sie war müde. Das Gespräch, das so völlig anders verlief, als sie geglaubt hatte, erschöpfte sie. Wenn nur Richard da wäre â¦
Sie gab sich einen Ruck.
Richards Gläser! Wenn Ruth erst sah, welch begnadeter Glaskünstler er war, würde sie bestimmt erkennen, daà alles längst nicht so düster werden muÃte, wie es vielleicht im ersten Moment schien.
»WeiÃt du was? Ich zeige dir jetzt erst einmal Richards Kunstwerke!« Ihre Stimme klang gekünstelt. Gleichzeitig kämpfte sie gegen ein ungutes Gefühl in ihrem Bauch an. Richard schätzte es nicht, wenn jemand auÃer ihm nach diesen Musterteilen griff, selbst das Abstauben hatte er ihr verboten. Aber da er nun einmal nicht hier war â¦
Vorsichtig langte Wanda nach dem schönsten Glas im Regal, einem langstieligen Pokal, gearbeitet in einer komplizierten Ãberfangtechnik.
Im selben Moment wurde die vordere Tür schwungvoll aufgerissen.
Wanda erschrak so sehr, daà ihr das Glas prompt aus der Hand rutschte und mit einem lauten Klirren auf dem Boden zersprang.
8. K APITEL
Wie jeden Abend waren fast alle Tische im »Schwarzen Adler« besetzt. Und wie jeden Abend wurde über die Tische hinweg palavert, gelacht, geschrieen und gestritten. Die Luft war verqualmt und voller Gerüche, die für Wanda inzwischen altbekannt waren. Es roch nach den Bratkartoffeln mit Speck, die der Wirt jeden Tag für diejenigen seiner Gäste parat hielt, die genug Geld hatten, auswärts zu essen. Es roch nach dem Bier, mit dem die Glasbläser ihre von der langen Arbeit ausgetrockneten Kehlen anfeuchteten, es roch nach Schweià und nach Müdigkeit.
Der »Schwarze Adler« war das Stammlokal der Glasbläser. Vor ihrer Abreise nach Genua hatte Wanda Richard des öfteren hierher begleitet. Auch ihr Vater und sein Bruder Michel waren häufig zu Gast.
Wanda mochte die ganz besondere Stimmung der Wirtschaft, und sie mochte die Tatsache, daà die Glasbläser sich immer freuten, sie zu sehen. »Die Amerikanerin!« hieà es dann, und schon wurde ihre Hand geschüttelt. Lauscha war ein kleines Dorf, in dem sich fast alles herumsprach. So wuÃten alle, daà Thomas Heimer seine neuen Aufträge vor allem ihr zu verdanken hatte. Und viele hatten Wandas Anstrengungen mitbekommen, den Vater zu zeitgemäÃeren Arbeiten zu bewegen.
»Was heckt unsere Amerikanerin denn diesmal wieder aus?« wurde sie deswegen oft scherzhaft gefragt. Andere wiederum meinten, sie dürfe gern auch in ihre Werkstätten kommen und dort »modernisieren«, wenn das Ergebnis so profitabel wie bei Heimer wäre. Wanda lachte dann immer nur und genoà den Trubel, der um sie gemacht wurde.
Seit sie Sylvie bei sich hatte, war dies ihr erster Besuch und nur deshalb möglich, weil sich Eva gern bereit erklärt hatte, das Kind zu hüten.
»Geht nur, geht! Junge Leute brauchen doch ihren SpaÃ!« Mit diesen Worten hatte sie Wanda geradezu aus dem Haus gescheucht.
SpaÃ! Als ob ihr heute der Sinn danach stünde!
Wie konnte Mutter nur so gemein
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