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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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sich an Buyudrar und erklärte ihm, sie wolle zum Meya. Sie rechnete mit Widerstand, doch er führte sie ohne ein Wort durch die verschachtelten Gänge des Palastes zu einem Zimmer, das von wartenden Männern belagert
wurde. Offenbar war gerade Audienzzeit. Grazia hielt Ausschau nach einem Bediensteten, der ihr erklärte, wann sie an der Reihe wäre, aber so jemanden schien es hier nicht zu geben. Auch keine Stühle oder Sitzbänke. Schließlich rang sie sich dazu durch, einen Mann am Ärmel zu zupfen, der zuäußerst stand und in die Betrachtung des türkisfarbenen Schamindarreliefs über dem Türsturz versunken war. Kaum hatte sie den Mund aufgetan und er sich ihr zugewendet, wurde er blass.
    »Die Nihaye!«, hauchte er und wich zurück. Sein goldgeschmückter Ziegenbart bebte. Und als könne das Wort eine Schneise schlagen, reckten alle die Köpfe und traten zurück. Sie erblickte den in einen glänzenden blauen Mantel gehüllten König, wie er an einem mit Bücherkästen vollgestellten Tisch stand und mit zwei Männern sprach. Anscheinend ging es um Getreidelieferungen aus dem tiefsten Inneren der Hochebene, die den stetig wachsenen Preisen Einhalt gebieten sollten.
    In der plötzlichen Stille hallte seine Stimme über den Korridor. Er runzelte die Stirn, brach ab und wandte ihr den Kopf zu.
    »Grazia!« Er winkte sie zu sich. Ungehalten über die Störung wirkte er zum Glück nicht. »Wenn du mich aufsuchst und dabei so dreinschaust, geht es dir um Anschar. Richtig?«
    »Ja, Herr.« Sie betrat das Zimmer und verneigte sich formvollendet.
    »Na schön.« Er schleuderte das Papier, das er in der Hand gehalten hatte, auf den Tisch und verscheuchte mit einer Handbewegung seine Besucher. »Über schlechte Ernten kann ich mich auch später unterhalten, sie werden von meinem Geschwätz ohnehin nicht besser.«
    Stoffe raschelten, als sich die Männer entfernten. Nur
Buyudrar, ein Leibdiener und drei Palastwachen, die an der Fensterfront standen, blieben zurück. Drei äußerst wehrhaft aussehende Männer als Ersatz für einen Leibwächter, dachte Grazia. Hätte sie Anschar nicht kämpfen sehen, hätte sie nie geglaubt, dass drei herausragende Krieger nötig waren, um einen der Zehn aufzuwiegen – mindestens.
    »Warum tut ihr Anschar das an?«, platzte sie heraus. »Er wollte mir nur helfen, und ihr habt ihn dafür in ein Straflager geschickt.«
    »In ein Straflager?«
    »Die Papierwerkstätten!«
    »Ach so. Was habe ich denn damit zu tun? Ich höre soeben zum ersten Mal, dass er dort ist.«
    »Bist du der Großkönig oder nicht?«
    »O Hinarsya! Weißt du, was dein Problem ist? Dir liegt zu viel an ihm.«
    Sie schluckte. Schweigend sah sie zu, wie er sich sammelte. Er las das Papier wieder auf, befingerte es und legte es beiseite.
    »Als du damals angelaufen kamst, weil Mallayur ihn in diesem Kühlbecken gefoltert hatte, konnte ich deine Bedenken verstehen«, hob er schließlich an. »Und ich ging dem ja auch nach. Diese Bestrafung ist jedoch etwas anderes. Dass er dich unaufgefordert wegtrug, war nicht sein Fehler. Auch dass er mich anschrie, hätte ich ihm durchgehen lassen. Aber dass er es vor allen Leuten tat, war zu viel. Ich wusste nicht, wie Mallayur das bestraft. Es geht mich ja auch nichts an. Aber nun, da ich es weiß, bleibt mir nur zu sagen, dass es gerechtfertigt ist.«
    »Gerechtfertigt? Wegen eines lauten Wortes so eine Strafarbeit?«
    »Wie fällt denn die Strafe in deinem Land aus, wenn man deinen König so anschreit?«

    Das wusste sie nicht, woher auch? War das schon Majestätsbeleidigung? Aber ungestraft wäre Anschar auch in Preußen nicht davongekommen. Gewiss nicht.
    »Siehst du? Du schweigst.« Er legte den Ellbogen auf einen Stapel von Tontafeln. Die andere Hand stemmte er in die Seite. »Ich habe dir wehgetan«, sagte er plötzlich. »Und dafür entschuldigt habe ich mich bisher nicht.«
    Erstaunt hob sie den Kopf. Nein, das hatte er nicht. Seitdem hatte er immer nur weiter verlangt, dass sie ihre Wasserkraft übte.
    »Ich war voreilig. Ja, verdammt, Anschar hatte recht, du bist kein Ersatz für den letzten Gott. Dennoch, in dir steckt viel mehr. Du brauchst nur Zeit …« Er stutzte, denn sie schüttelte den Kopf. »Was soll das heißen?«
    »Was du von mir willst, kann ich dir nicht geben. Ich kann nicht der Trockenheit deines Landes abhelfen. Und um kleine Kunststückchen geht es dir ja nicht. Oder doch? Ich mag mich nicht benutzen lassen. Ich tue gar nichts mehr. Ich bin sowieso zu nichts

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