Das gläserne Tor
nicht dem Meya? Ich werde mich gegen den Tod nicht sträuben, aber du wirst dadurch niemals erreichen, dass er dir zu Willen ist. Die Götter wollen keine Menschenopfer.« Er wurde so laut, dass einige Herscheden aufsprangen und nach ihren Waffen griffen. Mit aller Kraft spuckte er seine Abscheu heraus. »Und schon gar nicht von dir!«
»Schweig!«, schrie Mallayur. »Du störst meine Nachtruhe.«
»Ach, und die Hündin, die gerade unter dir liegt«, redete Anschar weiter. Noch konnte er es. »Sie also hat dir den Gott gebracht, und mit ihrer Kraft hältst du ihn gefangen. In dem unsichtbaren Behälter, ja? Ich habe ihn gesehen. Ein Gefängnis aus gefestigter Luft. Sag, was hat die Hündin eigentlich davon, dass sie dir dient? Liebt sie dich so sehr?«
»Geeryu. Bring ihn zum Schweigen.«
Sie setzte sich auf und machte eine Handbewegung, die Anschar schon kannte. Er konnte dem Hieb gehärteter Luft nicht ausweichen. Eine unsichtbare Faust hämmerte gegen seine Schläfe und schlug seinen Kopf auf die andere Seite. Er schwieg. Es gab ohnehin nichts mehr zu sagen.
Bei Anbruch der Morgendämmerung brachen sie auf. Es ging tiefer in den Wald hinein, auf einem Pfad, der stetig hügelan verlief. Auch hier machten sich erste Anzeichen der Trockenheit bemerkbar, durch kahle Gewächse inmitten des dichten Zedernbestandes. Ab und zu überquerten sie
einen Bachlauf, der nur noch ein Rinnsal war oder gar kein Wasser mehr führte. Je weiter sie in den Hyregor vorstießen, desto kühler wurde es, und gegen Mittag ließ ein kurzer Regenguss die Bäume rauschen. Die Männer genossen die wenigen Tropfen, die das Dach des Waldes hindurchließ, nur Geeryu rutschte unbehaglich auf dem Pferderücken hin und her und zog die Kapuze ihres Mantels tief ins Gesicht. Bald lichtete sich der Wald und ging in kahle Felsenhänge über. Heller Staub bedeckte den Boden und drang, aufgewirbelt von den Pferdehufen, in Augen und Nase. Vor ihnen ragten die weißen Felsen des Gebirges auf. Anschar bemerkte, dass die Männer, je weiter sie kamen, immer unruhiger wurden. Ständig drehten sie sich in den Sätteln, um zurück in die Düsternis der Bäume zu spähen. Keinen Augenblick ließen sie die Finger von den Waffen. Er glaubte den Grund zu kennen. In diesem Gebiet, so erzählte man sich, streifte die Große Bestie herum. Jedoch nur nachts, daher war der Ritt ungefährlich, wenn man von anderen größeren Waldtieren absah, denen sie ebenso wenig begegnet waren. Aber wer mochte wissen, was davon der Wahrheit entsprach? Möglich, dass die Bestie jeden Augenblick aus dem Unterholz brach, um den Hang hinaufzupreschen und eines der Pferde zu reißen. Möglich, dass es sie gar nicht gab. Aber falls der Schamindar hier sein Unwesen trieb, war für Anschar die Frage nach der Art seines Todes beantwortet.
Mallayur hob die Hand und zügelte sein Pferd. »Wir sind da.«
Auf der Anhöhe erhob sich ein weißer Felsenhügel. Mit gelben Herbstblüten besetzte Grasbüschel wuchsen in den Spalten und Ritzen. Das Gebilde wirkte harmlos, hätte es nicht den Gestank nach Verwesung ausgedünstet. Und wäre nicht auf seiner abgeflachten Kuppe ein bronzener Haken eingelassen. Die Männer stiegen von den Pferden und nahmen
im Halbkreis um Anschar Aufstellung. Sie spannten die Bogen und legten Pfeile an, erst dann bekam er die Fußfessel entfernt, sodass er absteigen konnte. Auch seine Hände wurden befreit.
»Zieh dich aus«, befahl Mallayur. »Alles. Kleidung stört nur, wenn du dem Schamindar dargeboten wirst.«
Anschar wickelte seinen Rock ab und zog sich das Hemd über den Kopf. Nach der Zeit in den Werkstätten machte ihm das nichts mehr aus. Auch die Sandalen musste er abstreifen. Ein Herschede raffte das Bündel zusammen und klemmte es sich unter den Arm.
»Das Ritual ist schlicht.« Mallayur trat dicht vor ihn. Noch während Anschar darüber nachdachte, ihn anzuspringen und ihm das Genick zu brechen, bevor er von Pfeilen gespickt wurde, legte sich von hinten eine Klinge an seine Kehle. Sein Herr zog einen Dolch aus dem Gürtel. »Ich empfehle dich dem Gott und seinem geliebten Schoßtier. Möge er erkennen, dass ich ihm nichts Böses will, und Freude an deinem Kriegerblut haben. Besseres kann er nicht bekommen. Ich bin überzeugt, dass du der Erste der Zehn bist. Und jetzt halt still.«
Er hob den Dolch. Geeryu trat herzu und legte eine Hand auf seinen Arm.
»Nein. Lass mich das machen.«
»Wie du willst. Aber nur ein kleiner Schnitt, ja? Es dient nur
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