Das gläserne Tor
er schmerzlich vermisste. Sie hatten einander.
Das Wissen um seinen Tod berührte ihn kaum. Interessant an der Sache war nur noch, warum er in diesen Wäldern sterben sollte. Wenn er es recht bedachte, konnte er nicht klagen. Er hatte Grazia dazu verholfen, nach Hause zurückzukehren. Er würde nicht länger von Mallayur gequält werden. Sein Sklavendasein hatte ein Ende; stattdessen würde er in das Reich der Toten gehen, wo sich Nihar, der Erdgott der Dreiheit, seiner als einem tapferen Krieger erinnerte und ihn mit dem ewigen Leben auf den Inseln belohnte.
»Herr?«, unterbrach er das Spiel. »Herr!«
Widerwillig erstarb Mallayurs Stöhnen. »Was ist?«
»Heute keine Schläge von Geeryu?«
»Halt den Mund, sonst lasse ich dich an deinem Schwanz aufhängen.«
Anschar lachte geringschätzig. »Womit willst du mir jetzt noch drohen?«
Verbissenes Schweigen war die Antwort, es folgte Geeryus wohliges Seufzen. Das Paar setzte das Spiel fort.
»Wie war das eigentlich mit Hadur?«, fragte Anschar aufs Geratewohl. »Warum hattest du ihm befohlen, mich zu töten?«
Mallayur erstarrte. Er schob Geeryus besitzergreifende Arme beiseite und setzte sich auf. »Du weißt davon?«
Also doch, dachte Anschar. Er hatte längst nicht mehr an jenen Überfall in der Wüste gedacht, er war ihm ganz unverhofft in den Sinn gekommen. Grazia hatte die Vermutung geäußert, Mallayur könne dahinterstecken, und sie hatte recht behalten. Sein Herr kam auf die Füße, wickelte sich den Rock um die Hüften und suchte zwischen den Stützbalken hindurch den Weg zu ihm. Die drei Wachen sprangen auf und neigten die Köpfe, aber er beachtete sie nicht. Aus irgendeiner Scheide zog er ein Schwert, mit dem er sich über Anschar aufbaute.
»Du weißt davon?«, wiederholte er.
»Offensichtlich. Ist das wichtig?«
Sein Herr setzte sich ihm gegenüber auf den Holzstapel. Im Gegenlicht der Kerze waren kaum mehr als seine Umrisse zu erkennen. Er legte das Schwert über seine Oberschenkel – eine Geste, deren drohende Wirkung angesichts des Todes verblasste. »Eigentlich nicht, aber ich bin neugierig. Hadur ist nie zurückgekehrt. Hast du ihn getötet?«
»Ich würde sagen, ich habe die Arbeit der Wüste überlassen.«
Langsam nickte Mallayur. »Ich hätte mir denken können,
dass er es nicht schafft. Und das war mein bester Mann? Wahrlich kein Verlust.« Er drehte sich zu seiner Lagerstatt um, wo Geeryu murrte. »Ja, ich komme gleich. Gieriges Weib.«
»Warum?«, fragte Anschar erneut. »Ich verstehe dich nicht.«
»Das ist auch nicht wichtig, oder?« Mallayur kehrte zu seinem Schlafplatz zurück, legte das Schwert an seine Seite und sank in Geeryus Arme. In die Geräusche des Liebesspiels mischten sich die ersten Schmerzlaute. Hier und da hob ein neugieriger Krieger den Kopf und versuchte einen Blick auf das Treiben zu erhaschen. Anschar verschloss seine Ohren. Er hatte den Eindruck, die Antwort greifbar vor sich zu haben. Mallayur hatte seinen umfangreichen Suchtrupp dem argadischen nachgejagt, um diesen zu vernichten. Er wollte den Gott für sich allein. Vermutlich hatte sich sein Trupp aufgeteilt: die eine Hälfte hatte die Oase gesucht, die andere war unter Hadurs Führung dem argadischen Trupp gefolgt.
»Ich sollte mich geschmeichelt fühlen, dass Hadur glaubte, ich hätte den Gott noch finden können«, sagte Anschar erheitert. »Dabei war ich allein und beinahe verdurstet. Aber gut, Befehl ist Befehl, und wenn er als dein bester Mann auch ein schlechter war, so war er doch gewissenhaft. Hast du den Gott?«
Mallayur stöhnte verärgert auf. »Ja, verdammt, ich habe den Gott! Ein paar Tage nach deiner Rückkehr aus der Wüste brachte Geeryu ihn mir. Sie hatte die Oase gefunden. Morgen wirst du ihm geopfert, damit er sich gefügig zeigt.« Seine Stimme überschlug sich vor Ärger. »Und damit sind deine Fragen hoffentlich beantwortet!«
»Geopfert? Ich? Oh, ich verstehe.« O ja, Anschar verstand. Nur die besten Krieger waren es nach alter Tradition wert, für die Götter zu sterben. Er hatte in seinem Zweikampf bewiesen,
dass er einer der besten war, vielleicht gar der Erste der Zehn. Ein würdiges Opfer für einen Gott. Vielleicht hatte es Mallayur von Anfang an darauf angelegt, ihn dieser Prüfung zu unterziehen. Vielleicht war er aber auch erst zu dem Entschluss gekommen, ihn auf eine nützliche Art zu beseitigen, als er Egnaschs Leiche gesehen hatte. Das war nicht wichtig.
»Du willst, dass der Gott dir dient? Dir allein und
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