Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
Vom Netzwerk:
Wälder ritten. Den Tod eines geliebten
Menschen zu leugnen, ist eine natürliche Reaktion. Aber durch Trauer wird das Herz gebessert, sagt Salomo. Und David sagt: Der Herr hört mein Weinen. Er hört auch Ihres, Fräulein Grazia. Oft erspart Gott einem nicht das Leid, aber immer hilft er, es zu überwinden. Das Leben hält an Ihnen fest. Sie sind noch so jung. Irgendwann sind die Tränen geweint, auch wenn Sie das jetzt nicht glauben können.«
    »Oh, ich habe einen unerschöpflichen Vorrat an Tränen. Sie haben ja keine Ahnung, wie groß der ist.« Sie schüttelte entschieden den Kopf. Bruder Benedikt bemühte sich um hilfreiche Worte, aber nichts konnte sie jetzt trösten. »Vielleicht sollte ich noch einmal durch das Tor gehen und wieder zurück.«
    »Und dann? Selbst wenn Sie hundertmal durchs Tor gingen, bis es Sie am selben Tage herauslässt, an dem er verhaftet wurde, könnten Sie ihn doch nicht retten.«
    »Vielleicht bringt es mich ja vorher heraus?« Sie setzte sich auf und rüttelte an seinem Habit. »Dann könnte ich ihn warnen!«
    »Das tut es aber nicht. Mehr als Gedankenspiele können das nicht sein, und die quälen Sie nur.« Unbeholfen tätschelte er ihren Rücken. »Hätte ich das alles vorher gewusst, wäre ich Ihnen nicht nach Berlin gefolgt. Dann wären Sie …«
    »Nein!« Sie drückte das Gesicht an seine Schulter. »Glauben Sie, ich wollte mich daheim nach ihm verzehren, ohne zu wissen, dass er tot ist? Es ist gut, dass ich es weiß. Aber was soll ich nur tun?«
    »Wollen Sie hierbleiben?«
    »Hier? Ohne ihn? Das halte ich nicht aus. Ganz Argad erinnert mich ständig an ihn. Und ich bin doch hier ganz allein.«
    »Gehen Sie nach Hause. Ihre Eltern werden Sie mit offenen Armen empfangen und sehr erleichtert sein, das wissen
Sie ja. Und über die geplatzte Verlobung redet dann auch keiner mehr. Es war letztlich doch nur ein Ausflug zu Tante Charlotte.«
    »Was für eine große … große Niederlage.« Wie sollte sie Friedrich je wieder unter die Augen treten? Nicht dass sie ihn noch wollte, aber zu Gesicht bekommen würde sie ihn irgendwann. Etwas Schmachvolleres konnte sie sich kaum vorstellen.
    »Ach, meine liebe Tochter, auch die wird überwunden werden. Seltsam, mir fällt gerade auf, dass ich Sie die ganze Zeit nicht mehr so genannt habe, nur weil er es nicht wollte. Er hatte ja schon ein gewisses Talent, Leute einzuschüchtern.«
    »Bitte nicht.« Sie löste sich von ihm und tastete nach dem Bettlaken, um sich die Augen zu trocknen. So etwas zu hören, machte es nur noch schlimmer.
    Bruder Benedikt nickte verständnisinnig. Er deckte sie zu, nachdem sie sich wieder aufs Bett hatte sinken lassen, und stand auf, denn ein weiterer Besucher erschien am Eingang. Es war Sildyu, die ihm ein zerstreutes Lächeln schenkte und sich ihr zuwandte. Er verschwand im Wohnzimmer, während die Königsgemahlin seinen Platz am Bettrand einnahm.
    Als ob ich krank wäre, dachte Grazia. Wie viele Leute würden heute noch kommen und sie bedauern? Sie wollte sich aufrichten, aber Sildyu drückte sie ins Kissen zurück.
    »Du siehst müde aus. Als hättest du eine Woche nicht geschlafen.« Sie verschränkte die Finger über einem Kästchen, das sie mitgebracht hatte, und schwieg eine Weile. Ihre Miene war ernst.
    »Hat der Meya dir von Siraia erzählt?«
    Die Königin nickte. »Ich danke dir, dass du es zu deiner Herzenssache gemacht hast, ihm die Augen zu öffnen, auch wenn es nichts mehr hilft. Es ist besser, als im Ungewissen zu
tappen. Wir schulden dir sehr viel. Du bist uns willkommen, das weißt du. Diese Gemächer sind deine. Du kannst aber auch andere haben.«
    »Ich möchte nach Hause zurück. Falls der König mich gehen lässt.«
    Sildyu senkte beschämt die Lider. »Das wird er gewiss. Er bedauert es sehr, dass er dich wegen deiner Gabe so genötigt hat. Und hier festgehalten. Das war nicht recht. Genützt hat es ja auch nichts. Es ist wohl nicht von den Göttern vorgesehen, dass eine junge Frau aus einer fremden Welt den Fluch abwendet. Das Problem wurde in dieser Welt geschaffen, und die Menschen hier müssen es lösen. Auch wenn so aussieht, als sei es unmöglich. Sieh her«, sie hob das Kästchen und öffnete es. Tönerne Tiegel waren darin.
    »Was ist das?«
    »Blaue Farbe. Damit du deine Trauer zeigen kannst, wenn du das möchtest.«
    »Ja, das möchte ich. Danke.« Grazia nahm das Kästchen entgegen und drückte es an die Brust.
    »Komm in den Tempel, wenn du dich dazu fähig fühlst. Ich opfere

Weitere Kostenlose Bücher