Das gläserne Tor
anders ausgegangen als mit jener Frau in den Papierwerkstätten, er hätte sich hinterher noch schlimmer gefühlt. Das Hämmern endete in einem wilden Geschrei. Die Hure rutschte von dem Mann herunter. Ein anderer fing sie auf und ließ sich nicht lange bitten. Anschar fürchtete schon, dass die Beobachtung der Schwägerin in dem ausgelassenen Treiben nicht mehr zur Sprache kam, doch nach einer Weile kehrte der Junge zu ihm zurück.
»Es war wie eine dicke Säule«, berichtete er, während er an seinem wunden Ohr zerrte. »Die ganze Gasse war in helles Licht getaucht. Er will seinem Schwager sagen, dass er seiner Schwester den Hintern versohlen soll, weil sie so dummes Zeug erzählt.«
»Danke.« Anschar schlug Parrad auf die Schulter und stand auf. »Komm, lass uns verschwinden. Mir reicht es. Das Dreckloch hier ist einfach kein Ersatz für Schelgiurs Hütte.«
Sie schoben sich zwischen den Tischen hindurch zur Eingangstür, einem Geflecht aus Felsengras, das an Bändern vom Türsturz hing. Noch während Anschar die Hand hob, um es beiseite zu drücken, sah er durch das Geflecht einen Mann auf dem Dorfplatz knien. Zwei Männer standen vor ihm; einer hatte seinen schwarzen Haarschopf gepackt.
»Oream ist in Schwierigkeiten«, murmelte Parrad. »Und nun?«
Anschar warf einen Blick zurück. Breitbeinig stand die Hure neben dem Tisch. Der Nächste hatte schon seine gierige Hand nach ihr ausgestreckt, der sie sich erschöpft zu erwehren versuchte. Es war höchste Zeit, diesen Ort zu verlassen. Sklaven sollten sich nicht dort aufhalten, wo Männer nicht mehr Herr ihrer Sinne waren.
»Das ist eine Wüstenratte«, hörte er den Mann sagen, der Oream festhielt. »Ich kann es förmlich riechen.«
»Ich bin kein Sklave«, widersprach Oream.
»Zeig dein Ohr.« Es klatschte, und Oream begehrte mit einem Knurren gegen die Ohrfeige auf. »Er ist nicht markiert. Aber er sieht verdammt nach Wüste aus. Bestimmt hat er noch jede Menge Sand in der Gesäßspalte. Unter die Wirtshauslaterne mit ihm. Sehen wir uns seine Haut genauer an!«
»Meine Mutter ist eine Sklavin, ja, aber mein Vater ist ein freier Mann. Also lasst mich gehen.« Oream versuchte sich dem Griff zu entziehen, doch der Mann, ein kräftiger Argade, ließ sich nicht abschütteln. Anschar drückte die Matte beiseite und ging hinaus. Es würde nicht lange dauern, bis die beiden Kerle darauf kamen, dass Kinder solcher Verbindungen niemals freie Menschen waren.
Er stapfte auf die Männer zu. Sie stießen Oream in den Dreck. Seine schlaksige Gestalt zitterte vor Furcht. »Lasst ihn in Ruhe, ihr habt es ja gehört«, rief Anschar. »Er ist ein freier Mann.«
»Das sagst du, wer immer du bist. Wenn hier einer dieser entlaufenen Sklaven herumläuft, werden wir ihn schnappen und dem Dorfältesten ausliefern. Oder besser selbst zu den Sklavenhändlern nach Argadye bringen. Die werden ja feststellen können, wo er hingehört.«
»Du hast doch gesehen, dass er keinen Ohrhaken trägt«, erwiderte Anschar ruhig.
»Und was ist mit euch?« Einer der Männer deutete auf Parrad. »Nehmt die Kapuzen ab.«
»Wir sind euch keine Rechenschaft schuldig. Oream, steh auf. Wir gehen.«
Oream rappelte sich auf die Füße und angelte nach seinem Umhang, den sie ihm vom Leib gerissen hatten. Es sah aus, als wollten sie Ruhe geben, doch Parrad zerrte ihn zu hastig mit sich. Einer der Argaden sprang auf Parrad zu und riss ihm die Kapuze herunter.
»Wusste ich’s doch!«, schrie er. »Der hier hat ein Ohrloch,
und zwar ein ziemlich großes. Wo ist dein Ohrhaken? Hast du entfernt, ja? Es sind entflohene Sklaven!«
Der Zweite streckte die Hände nach Anschar aus. Einen Lidschlag später sackte er zu Boden, gefällt von einem Kinnhaken. Anschar stürzte sich auf den anderen und hieb ihm den Ellbogen in den Nacken. Auch dieser sackte bewusstlos zu Boden. Aber es war zu spät, der Ruf zu laut gewesen. Aus der Schenke drängten die Zecher, kratzten sich orientierungslos an den mit Bier gefüllten Bäuchen und sahen sich um.
»Zu den Pferden, schnell!« Anschar stieß Parrad und Oream vorwärts und rannte los. Der Unterstand war auf der anderen Seite des Dorfplatzes, dort hatten sie ihre Pferde angebunden. Der flinke Oream sprang in den Sattel und hatte die Zügel an sich genommen, während Parrad sich noch mit der Sattelschlaufe abmühte. Endlich war er oben, aber er saß so steif da, dass Anschar es bitter bereute, ihn mitgenommen zu haben, um das geraubte Geld gegen Säcke voller Waren
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