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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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Regengüsse, sofern der Fluch dieses Jahr den Wald noch verschont.«
    »Na gut.« Sie strich über den Stoff. »Wie sind diese Leute denn so?«
    »Unterschiedlich, wie alle Menschen.«
    »Früher hast du gesagt, sie seien Tiere.«
    »Was? Nein, ich habe gesagt, sie seien wie Tiere. Und das sind sie ja auch.«
    Sie lächelte in sich hinein, denn sie erinnerte sich genau. »Sie haben ihre Ohrhaken abgenommen. Warum du nicht?«
    Unbewusst griff er an sein Ohr. »Warum sollte ich ihn abnehmen? Um mir etwas vorzumachen, das so nicht ist? Die Wüstenmenschen sind nicht von Geburt an versklavt, sie kannten ein anderes Leben und hängen an ihren Erinnerungen. Ich habe keine. Vielleicht ist das der Grund, weshalb ich mich nicht täuschen lasse.«
    Er hatte es tonlos dahergesagt, mit schleppender Stimme. Es betrübte sie, dass er trotz ihrer Gegenwart so niedergeschlagen war. Als drücke dieses Dasein seine Schultern nieder. Wie mochte es ihm da ergangen sein, als er allein gewesen war?
    Der Schmuck!, fiel ihr ein. In all der Aufregung hatte sie
ihn vergessen. Sie nahm den Schmuckbeutel vom Bord und öffnete ihn. Anschar war näher herangekrochen. Seine Augen weiteten sich.
    »So sieht er also aus«, murmelte er ergriffen. Beinahe ehrfürchtig berührte er das Gold. »Seltsam, nie habe ich ihn gesehen, nur den anderen Ohrring, und der ist jetzt weg. Der liegt immer noch unter meiner Matratze in Herias Sklavenkeller. Nein, da ist er sicher längst nicht mehr, irgendjemand wird ihn schon gefunden haben.«
    »Ich hatte den Schmuck nicht nur mitgebracht, weil ich ihn mag«, sagte sie ernst und sah ihn fest an. »Sondern auch, um ihn Madyur zu zeigen.«
    »Wozu? Um ihn davon zu überzeugen, dass Siraia tatsächlich aus Temenon stammte?«
    »Genau das.«
    Seine Miene verschloss sich. »Und? Hat er dir geglaubt?«
    »Ja.«
    Er lachte hart auf. »Nun, das ändert wohl alles, wie? Das hattest du dir jedenfalls so ausgemalt. Aber ich sage dir, es ändert nichts. Ob er mich für tot hält oder nicht, ob er glaubt, dass meine Mutter eine Frau aus Temenon war oder nicht – das alles ist völlig gleichgültig, da ich nichts mehr mit ihm zu tun habe. Alles nur wegen einer lächerlichen Wette! Ich gönne ihm das Gefühl, sich jedes Haar einzeln ausraufen zu wollen.«
    Sie nickte betrübt.
    »Da wir schon dabei sind …«, fuhr er mit säuerlichem Unterton fort und ließ den Schmuck zurück in den Beutel gleiten. »Ich weiß auch etwas zu erzählen, das für Madyur neu wäre, wüsste er es. Erinnerst du dich an das, was du nach dem Zweikampf in Herias Felsenkeller gesehen hast? Dieses säulenartige Ding, das mit einem Tuch bedeckt war?«
    »Ja. Du weißt, was es war?«

    »Darin ist der Gott gefangen.«
    »Der Gott? Du willst damit sagen, Mallayur habe den Gott gefunden? Aber das ist doch …«
    »Unmöglich? Nicht, wenn man eine Nihaye hat. Sie hat ihn mit ihrer Kraft gefangen und Mallayur gebracht. Das muss schon passiert sein, als wir dort unten im Keller waren, denn Geeryu war zu diesem Zeitpunkt in Heria.«
    Geeryu – die Nihaye und Mallayurs Geliebte. Grazia war über diese Frau im Bilde, soweit das möglich war. Es klang unglaublich, aber was gab es hier schon noch, das man nicht glauben konnte? »Du willst damit sagen, dass wir, wären wir in das Gewölbe hinabgestiegen und hätten einen Blick unter das Tuch geworfen, den Gott gesehen hätten?«
    »Das wäre möglich.«
    Sie wusste nicht, wie sie sich das vorstellen sollte. Ein Gott, gefangen in einem Behälter? Es schmerzte sie innerlich, wenn sie an jenen Mann auf dem Steg zurückdachte, der so verzweifelt gewesen war. So von Furcht erfüllt. Sein Aussehen war das eines Gottes gewesen, aber gebärdet hatte er sich wie ein Kind, das eine harte Hand gezüchtigt hatte. Sie erinnerte sich an die Sanftmut, die er ausgestrahlt hatte. »Dieses friedfertige Wesen in den Händen Mallayurs und seiner Nihaye? Kaum vorstellbar.«
    »Nein. Und ich sehe keine Lösung. Es bleibt nicht einmal die Hoffnung, dass Mallayur die Trockenheit abmildern kann, denn der Gott verweigert sich ihm. Und wenn er es täte, würde das wohl nur Hersched nützen. Es ist alles verfahren. Warum nur sind diese Dinge nichts, was man mit einem Schwert zerhacken kann?«
    »Wie den gordischen Knoten.«
    »Was ist das?«
    Sie verschloss den Beutel und legte ihn auf das Bord zurück. Dann kroch sie zu Anschar und bettete den Kopf auf
seinen Schenkel. »Das war ein Gewirr aus Seilen, das Joch und Deichsel eines Wagens

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