Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
Vom Netzwerk:
gerührt.
    »Wie kommt man dorthin?«, fragte Grazia.
    »Oh, das ist leicht. Man muss nur der Schlucht folgen. Sie endet bei den Ausläufern der Berge, dort führt ein Pfad zu seiner Hütte. Die Frage ist eher, wann die rechte Zeit ist. Der Einsiedler pflegt oft zu verreisen, und das über Monate. Und wie ich hörte, ist er derzeit wieder unterwegs.«
    Monate! Grazia zuckte unter dem Wort zusammen. Jetzt blieb ihr tatsächlich die Luft weg. Sie griff sich an die Brust und schwankte. Sildyu packte sie an einem Arm, und Henon, der ängstlich aufschrie, am anderen. Grazia streckte sich nach der Lehne des Tragstuhls und kletterte hinein.

    »Es geht schon«, murmelte sie. »Ich bin nur erschrocken. Wie erfahre ich, wann dieser Einsiedler zurückkommt?«
    »Indem du die Ohren offen hältst. Irgendjemand wird die Nachricht von seiner Rückkehr schon erwähnen. Wenn ich etwas erfahre, lasse ich es dich wissen. Du kannst auch gern herkommen und fragen, so oft du möchtest.«
    Nein, ich gehe zu Schelgiur, dachte Grazia. Der weiß alles zuerst, hat Anschar gesagt.
    Sie bedankte sich bei Sildyu und verabschiedete sich. Henon zierte sich wieder, zu ihr in die Sänfte zu steigen, aber schließlich tat er es, unter den verwunderten Blicken der sich abwendenden Priesterin.
    »Hast du Schlimmes erfahren, Herrin?«, fragte er.
    »Das kann man wohl sagen! Wie es aussieht, muss ich Monate warten, bevor ich überhaupt versuchen kann, wieder nach Hause zu kommen. Das ist so furchtbar!« Sie drückte den Mantel auf ihren Mund, da sie befürchtete loszuheulen, und konnte es doch nicht verhindern. Monate!
    Henon weinte mit ihr, obwohl er nicht ganz zu begreifen schien, was daran so schlimm war.
    »Herrin, du kannst hierbleiben, so lange du willst«, versuchte er sie zu trösten. »Der Meya mag dich, oder nicht? Und ich diene dir, wie ich nur kann.«
    Schniefend nickte sie. »Danke, Henon. Du bist ein freundlicher Mensch. Wenn ich Geld hätte, würde ich dich freikaufen.«
    »Das kann man doch gar nicht.«
    »Nicht?«
    »Nein, Sklave bleibt man bis zum Tod. Aber bitte, Herrin, du musst an dich denken, nicht an mich. Du wirst dich hier wohlfühlen.«
    Sie wollte es entschieden verneinen, beherrschte sich aber. Das Warten war sicher zu ertragen. Das Heimweh auch irgendwie.
Es gab schließlich genug Neues und Aufregendes, das sie ablenkte. Aber dass es Anschar vielleicht schlecht erging, vergällte ihr alles.

    »O Gott, ich kann’s nicht. Hinunter ist es ja noch viel schlimmer!« Grazias Hände waren klitschnass, sie würde sich nicht an den Handläufen festhalten können. Sie würde ausrutschen. Fallen. Bis hinunter in die Ebene. Allein der Blick in die Tiefe wendete ihren Magen. Vorsichtig stieg sie die wenigen Stufen, die sie geschafft hatte, wieder hinauf. Henon streckte die Hände nach ihr aus, und dankbar ergriff sie sie.
    »Die schwebende Stadt ist kein Ort für eine edle Frau«, sagte er in einem Ton, der aus seinem Munde fast schon tadelnd klang. »Gleichgültig ob es dir nun schwindelt oder nicht.«
    »Du hast sicher recht. Ich kann kaum glauben, dass ich durch sie hindurchgestiegen bin. Habe ich das wirklich getan? Aber da musste ich ja auch nicht hinunterschauen.« Außerdem war Anschar bei ihr gewesen. Das Gefühl der Sicherheit, das er verströmte, fehlte ihr.
    »Lass mich doch hinuntergehen, Herrin.«
    Zweifelnd sah sie den schmächtigen alten Mann an. »Ist das auch nicht zu anstrengend für dich?«
    »Ach, das schaffe ich schon. Und ich weiß, wo Schelgiurs Hütte ist.« Er spreizte verlegen die Arme. »So bin ich wenigstens nicht völlig nutzlos.«
    Sicheren Schrittes machte er sich an den Abstieg und kehrte schon bald darauf zurück, schwer atmend, aber sichtlich froh, etwas für sie getan zu haben.
    »Schelgiur hat bestätigt, was die Hohe Priesterin dir gesagt hat. Der heilige Mann soll irgendwo am Rande des Landes unterwegs sein.«
    Enttäuscht seufzte sie auf. Sie hatte gehofft, dass Sildyu im Irrtum gewesen war.

    »Ich werde so oft zu Schelgiur gehen, wie du es willst«, sagte er. »Und wenn es jeden Tag ist.«
    Das war wohl übertrieben, aber sie nahm sich vor, das Angebot wenigstens alle paar Tage anzunehmen. Sie schlugen den Weg zurück nach Argadye ein. Henon wirkte müde; es war Zeit, dass er sich ausruhte, und Grazia verspürte Hunger. So tauchten sie ein in die dunkle Kühle des Palastes. Als sie den Eingang zu ihrer Wohnung erreichten, wartete dort ein fremder Sklave.
    »Ja?«, fragte Grazia misstrauisch. Er

Weitere Kostenlose Bücher