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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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eines provisorischen Magistratsausschusses zu stellen, bis die rechtmäßigen Behörden wieder eingesetzt werden können. Aber damit man mich nicht des Ehrgeizes beschuldigt, werde ich die Bürgermeisterei nur dann wieder betreten, wenn mich der ausdrückliche Wunsch meiner Mitbürger dahin zurückruft.«
    Granoux und Roudier beteuerten, Plassans werde sich nicht undankbar zeigen, denn letzten Endes habe doch ihr Freund die Stadt gerettet. Und sie zählten all das auf, was er für die gute Sache geleistet hatte: den gelben Salon, der den Freunden der gesetzlichen Gewalt stets offengestanden habe; die Verbreitung der guten Sache in allen drei Stadtteilen; das Waffenlager, das seine Idee gewesen sei, und vor allem diese denkwürdige Nacht, diese Nacht der Vorsicht und des Heldentums, in der er sich für alle Zeiten Ruhm erworben habe. Granoux fügte hinzu, Rougon sei im voraus der Bewunderung und der Dankbarkeit der Herren des Magistrats sicher, und schloß mit den Worten: »Rühren Sie sich nicht aus dem Hause! Ich werde Sie von dort abholen und im Triumph hierher zurückgeleiten.«
    Roudier erklärte noch, er begreife übrigens den Takt und die Bescheidenheit ihres Freundes und schätze sie. Gewiß denke niemand daran, ihn des Ehrgeizes zu beschuldigen, aber man werde empfänglich für das Feingefühl sein, aus dem heraus er kein Amt ohne die Zustimmung seiner Mitbürger bekleiden wolle. Das sei sehr würdig, sehr edel, geradezu erhaben.
    Unter diesem Regen von Lobsprüchen senkte Rougon demütig das Haupt. »Nein, nein, Sie gehen zu weit!« murmelte er, vor Wonne fast vergehend wie jemand, der sich wohlig gekitzelt fühlt. Jeder Satz des früheren Strumpfhändlers und des ehemaligen Mandelhändlers, die der eine rechts, der andere links von ihm saßen, glitt ihm sanft über das Antlitz; und zurückgelehnt in den Sessel des Bürgermeisters, durchdrungen von den administrativen Wohlgerüchen des Amtszimmers, verneigte er sich nach links, nach rechts mit der Haltung eines fürstlichen Thronanwärters, aus dem ein Staatsstreich einen Kaiser machen soll.
    Als sie der gegenseitigen Beweihräucherung müde waren, gingen sie hinunter. Granoux machte sich auf, den Magistrat zusammenzurufen. Roudier bedeutete Rougon, vorauszugehen, er werde ihm in seine Wohnung folgen, sobald er die nötigen Anordnungen für die Bewachung des Rathauses gegeben habe. Es wurde allmählich hell. Pierre erreichte die Rue de la Banne und ließ dabei wie ein Soldat seine Absätze auf den noch leeren Bürgersteigen knallen. Trotz der strengen Kälte hielt er den Hut in der Hand, immer wieder trieb ihm aufquellender Stolz das Blut ins Gesicht.
    Unten an der Treppe traf er Cassoute. Der Erdarbeiter hatte sich nicht von der Stelle gerührt, weil niemand nach Hause gekommen war. Er saß auf der untersten Stufe, den dicken Kopf in die Hände gestützt, und schaute starr vor sich hin mit dem leeren Blick und der stummen Beharrlichkeit eines treuen Hundes.
    »Sie haben mich erwartet, nicht wahr?« meinte Pierre, der alles begriff, als er ihn sah. »Nun gut, sagen Sie Herrn Macquart, daß ich zurück bin. Fragen Sie auf dem Bürgermeisteramt nach ihm.«
    Cassoute stand auf und ging mit linkischem Gruß. Er ging, um sich wie ein Schaf verhaften zu lassen, zur großen Freude Pierres, der sich ins Fäustchen lachte, während er die Treppe hinaufstieg, überrascht über sich selber und in der undeutlichen Überlegung: Mut habe ich, werde ich auch genug Verstand haben?
    Félicité war nicht zu Bett gegangen. Er fand sie in ihrem Sonntagsstaat, in ihrer Haube mit den zitronengelben Bändern, als erwarte sie Besuch. Vergeblich hatte sie am Fenster ausgeharrt; sie hatte nichts gehört und verging vor Neugierde.
    »Nun?« fragte sie und stürzte ihrem Mann entgegen.
    Außer Atem betrat dieser den gelben Salon, wohin sie ihm folgte. Sorgfältig schloß sie alle Türen hinter sich. Er sank in einen Sessel und sagte mit erstickter Stimme:
    »Es ist soweit, wir werden Steuerdirektor!«
    Sie fiel ihm um den Hals und küßte ihn.
    »Wirklich? Wirklich?« rief sie. »Aber ich habe ja gar nichts gehört. O mein liebes Männchen, erzähle mir doch, erzähle mir alles!«
    Sie war wie eine Fünfzehnjährige; sie schmeichelte wie ein Kätzchen und wirbelte ruckhaft umher wie eine von Licht und Hitze trunkene Zikade. Und Pierre schüttete in seinem Siegestaumel sein Herz aus. Nicht die geringste Einzelheit überging er. Er enthüllte sogar seine Zukunftspläne und vergaß ganz,

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