Das Glück der Familie Rougon - 1
daß seiner Ansicht nach die Frauen zu nichts taugten und seine eigene nichts wissen durfte, wenn er der Herr im Hause bleiben wollte. Vornübergebeugt trank Félicité seine Worte. Sie ließ ihn gewisse Teile seines Berichts wiederholen, weil sie angeblich nicht recht verstanden habe; in Wirklichkeit verursachte die Freude ein derartiges Getöse in ihrem Kopf, daß sie von Zeit zu Zeit wie taub war und ihr Verstand in heller Wonne unterging. Als Pierre den Vorgang auf der Bürgermeisterei erzählte, schüttelte sie sich vor Lachen; sie wechselte dreimal den Sessel, schob die Möbel hin und her und konnte nicht stillsitzen. Nach vierzig Jahren ununterbrochener Anstrengungen ließ sich das Glück endlich beim Schopf fassen. Das machte sie so närrisch, daß auch sie jegliche Vorsicht vergaß.
»Siehst du, das verdankst du alles mir!« rief sie in einem wahren Triumphausbruch. »Hätte ich dich machen lassen, so würdest du dich ganz dumm von den Aufständischen haben schnappen lassen. Du Einfaltspinsel, den Garçonnet, den Sicardot und die andern mußte man diesen wilden Tieren vorwerfen!« Dabei zeigte sie ihre alten, wackligen Zähne und fügte mit einem spitzbübischen Lachen hinzu: »Ah, es lebe die Republik! Sie hat die Bahn für uns frei gemacht!«
Aber Pierre wurde plötzlich verdrießlich.
»Du, du«, murmelte er, »du bildest dir immer ein, alles vorausgesehen zu haben. Dabei bin ich selber darauf gekommen, mich zu verstecken. Als ob die Weiber etwas von Politik verständen! Geh, Alte, wenn du das Ruder in der Hand hättest, würden wir bald scheitern!«
Félicité verkniff die Lippen. Sie war zu weit gegangen; sie hatte ihre Rolle als stumme gute Fee vergessen. Doch jetzt stieg einer der dumpfen Wutanfälle in ihr auf, die sie jedesmal bekam, wenn ihr Mann sie mit seiner Überlegenheit erdrücken wollte. Sie nahm sich wieder einmal vor, sich zu gegebener Zeit auf so ausgesuchte Weise zu rächen, daß er ihr mit gebundenen Händen und Füßen ausgeliefert wäre.
»Ach, ich vergaß«, fuhr Rougon fort, »Herr Peirotte ist auch mit dabei. Granoux hat gesehen, wie er sich unter den Händen der Aufständischen wehrte.«
Félicité fuhr zusammen. Sie stand gerade am Fenster und sah begehrlich zur Wohnung des Steuerdirektors hinüber. Soeben hatte sie das Bedürfnis verspürt, jene Fenster wieder zu sehen, denn der Gedanke an den Sieg vermengte sich bei ihr mit dem Neid auf die schöne Wohnung, deren Möbel sie schon lange mit den Augen abnützte.
Sie wandte sich um und fragte mit seltsamer Stimme:
»Ist Herr Peirotte verhaftet?« Sie lächelte befriedigt; dann fleckte eine heftige Erregung ihr Gesicht. In ihrem Innersten hatte sie soeben den rohen Wunsch gehabt: Wenn doch die Aufständischen den Mann umbrächten!
Pierre las zweifellos diesen Gedanken in ihren Augen.
»Mein Gott, wenn ihn eine Kugel träfe«, murmelte er, »das brächte alles für uns ins reine … Man brauchte ihn nicht erst abzusetzen – nicht wahr? –, und wir wären an nichts schuld.«
Doch die zartnervigere Félicité schauerte zusammen. Sie kam sich vor, als habe sie soeben einen Menschen zum Tode verurteilt. Wenn Herr Peirotte jetzt wirklich den Tod finden sollte, so würde sie ihn nachts im Traum sehen, wie er käme, um sie an den Füßen zu zerren. Sie warf nur noch verstohlene Seitenblicke auf die Fenster gegenüber, Blicke voll wollüstigen Grauens. Und von nun an hatte ihre Freude einen Stich ins Verbrecherische, was den Genuß noch erhöhte.
Übrigens sah Pierre, nachdem er sein Herz ausgeschüttet hatte, nun die schlimme Seite der Lage. Er sprach von Macquart. Wie sollte er sich dieses Strauchdiebes entledigen? Félicité aber, vom Fieber des Erfolges erneut gepackt, rief:
»Man kann nicht alles auf einmal tun. Wir werden ihm, bei Gott, einfach den Mund stopfen! Wir werden schon irgendein Mittel finden …« Sie ging hin und her, rückte die Sessel zurecht, staubte die Lehnen ab. Plötzlich blieb sie mitten im Zimmer stehen und warf einen langen Blick auf die verschossenen Möbel. »Mein Gott!« sagte sie. »Wie häßlich das hier ist! Und all die Leute, die zu uns kommen werden!«
»Ach was!« entgegnete Pierre mit großartigem Gleichmut. »Das wird sich alles ändern.«
Er, der noch gestern einen heiligen Respekt vor den Sesseln und dem Sofa gehabt hatte, wäre heute mit beiden Füßen daraufgestiegen. Félicité, welche die gleiche Verachtung für die Möbel empfand, ging so weit, einen Sessel, an dem ein
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