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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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geheilt!« Dann stand er da, drehte sich hin und her und wußte nicht, was er sagen sollte.
    Félicité kam ihm zu Hilfe.
    »Hast du von der großartigen Handlungsweise deines Vaters gehört?« fing sie wieder an.
    Er erwiderte, daß die ganze Stadt davon spreche. Doch seine Dreistigkeit kam ihm wieder. Er zahlte seiner Mutter den Spott zurück, er sah ihr dreist ins Gesicht und sagte dabei:
    »Ich wollte sehen, ob Papa nicht verwundet ist.«
    »Geh, stell dich doch nicht so dumm!« rief Félicité mit der ihr eigenen Heftigkeit. »An deiner Stelle würde ich sehr entschieden handeln. Du hast dich geirrt, gib es doch zu, als du dich mit deinen Lumpenkerlen, den Republikanern, einließest. Heute wäre es dir ganz recht, sie im Stich zu lassen und zu uns zurückzukehren, weil wir die Stärkeren sind. Nun, das Haus steht dir offen!«
    Aber Aristide widersprach. Die Republik sei eine große Idee. Auch könnte es sein, daß die Aufständischen die Oberhand bekämen.
    »Laß mich doch in Frieden!« fuhr die alte Frau gereizt fort. »Du hast nur Angst, daß dich dein Vater ungnädig empfängt. Ich nehme die Sache auf mich … Hör zu! Du wirst zu deiner Zeitung gehen und wirst von heute auf morgen eine den Staatsstreich sehr beifällig behandelnde Nummer zusammenstellen, und morgen abend, wenn diese Nummer erschienen ist, kommst du hierher zurück und wirst dann mit offenen Armen aufgenommen werden.« Und da der junge Mensch noch immer schwieg, fuhr sie leiser und eindringlicher fort: »Hörst du? Es handelt sich um unser Glück, also um deins. Fang nicht wieder mit deinen Dummheiten an. Du hast dich schon ohnehin genügend bloßgestellt.«
    Der junge Mann machte eine Bewegung, die Bewegung Cäsars, als er den Rubikon59 überschritt. Auf diese Weise vermied er es, sich durch Worte zu binden. Als er fortgehen wollte, griff seine Mutter nach dem Knoten an seiner Schlinge und meinte:
    »Und vor allen Dingen tu mal diesen Lappen ab. Das fängt an lächerlich zu werden, weißt du!«
    Aristide ließ sie gewähren. Das aufgeknotete seidene Tuch faltete er säuberlich zusammen und steckte es in die Tasche. Dann umarmte er seine Mutter und sagte:
    »Auf morgen!«
    Währenddessen nahm Rougon in aller Form vom Bürgermeisteramt Besitz. Es waren nur acht Magistratsmitglieder übriggeblieben; die anderen befanden sich, ebenso wie der Bürgermeister und seine beiden Stellvertreter, in den Händen der Aufständischen. Diesen acht Herren, Helden vom Schlage Granoux˜, brach der Angstschweiß aus, als ihnen letzterer die kritische Lage der Stadt auseinandersetzte. Um zu verstehen, mit welcher Verstörtheit sie sich Rougon in die Arme warfen, müßte man die biederen Leute kennen, aus denen sich der Magistrat gewisser Kleinstädte zusammensetzt. In Plassans hatte der Bürgermeister unglaubliche Tölpel um sich, bloße Werkzeuge von blinder Willfährigkeit. So kam es, daß, als Herr Garçonnet nicht mehr da war, der ganze Verwaltungsapparat aus den Fugen geraten und dem ersten besten zufallen mußte, der das Räderwerk wieder in Gang zu setzen verstand. Jetzt, da der Unterpräfekt die Gegend verlassen hatte, war Rougon selbstverständlich kraft der besonderen Umstände der alleinige und unumschränkte Herr der Stadt; eine erstaunliche Krise, die die Macht in die Hände eines anrüchigen Mannes legte, dem noch tags zuvor keiner seiner Mitbürger hundert Francs geliehen hätte.
    Die erste Amtshandlung Pierres war, den provisorischen Ausschuß für permanent zu erklären. Dann beschäftigte er sich mit der Neuorganisierung der Nationalgarde: es gelang ihm, dreihundert Mann auf die Beine zu bringen. Die einhundertundneun im Schuppen verbliebenen Flinten wurden verteilt, so daß die Reaktion über einhundertundfünfzig Bewaffnete verfügte; die weiteren einhundertundfünfzig Nationalgardisten waren wohlgesinnte Bürger und Soldaten Sicardots. Als der Kommandant Roudier auf dem Rathausplatz seine kleine Armee besichtigte, bemerkte er zu seinem Verdruß, wie die Gemüsehändler heimlich lachten; nicht alle hatten eine Uniform, und manche sahen höchst drollig aus mit ihrem schwarzen Hut, ihrem Überrock und ihrer Flinte. Doch waren sie im Grunde von gutem Geist beseelt. Ein Posten wurde beim Bürgermeisteramt zurückgelassen. Der Rest der kleinen Armee wurde in Zügen auf die verschiedenen Stadttore verteilt. Roudier behielt sich den Oberbefehl über den Posten an der Grand˜Porte vor, die am meisten gefährdet war.
    Rougon, der sich in diesem

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