Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
Kraft blieb als dazu, von der furchtbaren Vergeltung seitens der Aufständischen zu träumen. Rougon überlief es kalt in diesem Strom von Angst. Mit zugeschnürter Kehle beschleunigte er seine Schritte. Als er auf dem Place des Récollets an einem Café vorbeikam, wo soeben die Lampen angezündet wurden und sich die kleinen Rentiers der Neustadt zusammenfanden, hörte er sehr erschreckende Bruchteile einer Unterhaltung.
    »Nun, Herr Picou«, fragte eine ölige Stimme, »wissen Sie das Neueste? Das erwartete Regiment ist nicht eingetroffen.«
    »Aber man erwartete ja gar kein Regiment, Herr Touche«, antwortete eine scharfe Stimme.
    »Bitte sehr! Haben Sie denn den Aufruf nicht gelesen?«
    »Richtig, die Anschläge versprechen, daß die Ordnung, wenn nötig, mit Gewalt aufrechterhalten wird.«
    »Sie sehen: mit Gewalt, mit bewaffneter Gewalt, versteht sich.«
    »Und was sagen die Leute?«
    »Mein Gott, Sie können sich doch denken, daß die Angst haben. Sie sagen, diese Verspätung der Soldaten sei unbegreiflich; die Aufständischen könnten die Truppen am Ende niedergemacht haben.«
    Ein Schrei des Entsetzens erfüllte das Café. Rougon hatte Lust, hineinzugehen und diesen Spießern zu sagen, daß der Aufruf niemals das Eintreffen eines Regiments angekündigt habe, daß man Texte nicht so verdrehen und auch nicht solches Geschwätz verbreiten dürfe. Aber er selber war in der Verwirrung, die sich seiner bemächtigte, nicht ganz sicher, ob er nicht mit der Entsendung von Truppen gerechnet hatte, und fand es schließlich in der Tat erstaunlich, daß kein einziger Soldat erschienen war. Sehr beunruhigt kehrte er heim. Félicité, die ganz kribbelig und voller Zuversicht war, wurde ungehalten, als sie ihn wegen solcher Albernheiten so verstört sah. Beim Nachtisch tröstete sie ihn.
    »Ach, du großes Schaf«, redete sie auf ihn ein, »um so besser, wenn der Präfekt uns vergißt! Wir werden die Stadt ganz allein retten. Ich sähe es gern, wenn die Aufständischen wiederkämen, damit wir sie mit Flintenschüssen empfangen und uns mit Ruhm bedecken könnten … Hör mal, du wirst die Stadttore schließen lassen und selber nicht schlafen gehen. Du mußt dir die ganze Nacht über viel zu schaffen machen; das wird dir später hoch angerechnet werden.«
    Pierre kehrte ein bißchen aufgemuntert ins Bürgermeisteramt zurück. Er brauchte Mut, um inmitten der Klagen seiner Kollegen fest zu bleiben. Die Mitglieder des provisorischen Ausschusses brachten in ihren Kleidern das Entsetzen mit, wie man bei Gewitter den Regengeruch mitbringt. Alle behaupteten, mit dem Eintreffen eines Regiments gerechnet zu haben, und riefen, man dürfe doch brave Bürger nicht in dieser Weise der Wut einer aufgewiegelten Volksmasse aussetzen. Um Ruhe zu haben, versprach ihnen Pierre beinahe ihr Regiment für den folgenden Tag. Dann erklärte er feierlich, daß er die Stadttore schließen lassen werde. Das brachte Erleichterung. Nationalgardisten sollten sich unverzüglich zu allen Toren begeben mit dem Befehl, die Schlösser zweimal herumzuschließen. Bei ihrer Rückkehr gaben mehrere Mitglieder des Ausschusses zu, jetzt wirklich viel beruhigter zu sein, und als ihnen Pierre erklärte, daß ihnen die kritische Lage der Stadt die Pflicht auferlege, auf ihrem Posten zu bleiben, trafen etliche leise Vorkehrungen, die Nacht in einem Sessel zu verbringen. Granoux setzte ein schwarzseidenes Käppchen auf, das er vorsorglich mitgebracht hatte. Gegen elf Uhr schlief die Hälfte dieser Herren rings um den Schreibtisch des Herrn Garçonnet. Diejenigen, die ihre Augen offenhielten, lauschten den abgemessenen Schritten der Nationalgardisten, die vom Hofe herauftönten, und träumten dabei, sie seien tapfere Männer und bekämen einen Orden. Eine große Lampe auf dem Schreibtisch beleuchtete diese sonderbare Waffenwacht. Rougon, der zu schlummern schien, erhob sich plötzlich und schickte nach Vuillet. Es war ihm soeben eingefallen, daß er die »Gazette« nicht erhalten hatte.
    Der Buchhändler war widerspenstig und sehr schlecht gelaunt.
    »Nun?« fragte Rougon, der ihn beiseite nahm. »Und der Artikel, den Sie mir versprochen haben? Ich habe die Zeitung nicht zu sehen bekommen.«
    »Deshalb stören Sie mich?« antwortete Vuillet zornig. »Zum Kuckuck auch! Die ›Gazette‹ ist nicht erschienen; ich habe keine Lust, mich morgen umbringen zu lassen, falls die Aufständischen wiederkommen.«
    Rougon zwang sich zu einem Lächeln und meinte, daß man, Gott sei

Weitere Kostenlose Bücher