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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Dank, niemanden umbringen werde. Gerade weil falsche und beunruhigende Gerüchte umliefen, würde der betreffende Artikel der guten Sache einen großen Dienst erwiesen haben.
    »Möglich«, entgegnete Vuillet, »aber in diesem Augenblick ist es die beste Sache, den Kopf auf den Schultern zu behalten.« Und mit schneidender Bosheit fügte er hinzu: »Ich glaubte, Sie hätten alle Aufständischen erledigt. Sie haben aber zu viele übriggelassen, als daß ich mich der Gefahr aussetzen möchte.«
    Als Rougon wieder allein war, staunte er über die Auflehnung eines meist so bescheidenen und unterwürfigen Menschen. Die Haltung Vuillets erschien ihm verdächtig. Aber er hatte keine Zeit, nach einer Erklärung zu suchen. Kaum hatte er sich wieder in seinem Sessel ausgestreckt, als Roudier eintrat, dem ein großer Säbel, den er an seinem Gürtel befestigt hatte, mit schrecklichem Gerassel gegen den Schenkel schlug. Die Schläfer fuhren bestürzt in die Höhe. Granoux glaubte, man riefe zu den Waffen.
    »Wie? Was? Was ist los?« fragte er und steckte hastig sein schwarzseidenes Käppchen in die Tasche.
    »Meine Herren«, berichtete Roudier atemlos und ließ dabei alle Floskeln beiseite, »ich glaube, eine Bande von Aufständischen nähert sich der Stadt.«
    Diese Worte wurden mit bestürztem Schweigen entgegengenommen.
    Rougon allein hatte die Kraft zu fragen:
    »Haben Sie sie gesehen?«
    »Nein«, antwortete der frühere Strumpfhändler, »aber wir hören sonderbare Geräusche draußen im Lande, und einer meiner Leute versicherte mir, er habe am Hang der Garrigues Lauffeuer gesehen.« Und da die Herren einander bleich und stumm ansahen, fügte er hinzu: »Ich kehre auf meinen Posten zurück, denn ich befürchte einen Angriff. Treffen Sie Ihrerseits die nötigen Maßnahmen.«
    Rougon wollte ihm nachlaufen, um noch mehr Auskünfte zu bekommen, doch Roudier war schon weit fort. Der Ausschuß verspürte bestimmt keine Lust mehr, wieder zu schlafen. Sonderbare Geräusche! Lauffeuer! Ein Angriff! Und das alles mitten in der Nacht! Maßnahmen treffen, das war leicht gesagt – aber was tun? Granoux hätte beinahe zu derselben Taktik geraten, die am Tage zuvor so erfolgreich gewesen war: sich verstecken, abwarten, bis die Aufständischen die Stadt durchzogen haben, und dann in den verlassenen Straßen triumphieren. Pierre erinnerte sich glücklicherweise an die Ratschläge seiner Frau und meinte, Roudier könnte sich getäuscht haben und das beste sei, selber nachzusehen. Einige Mitglieder des Ausschusses verzogen das Gesicht; als man aber übereingekommen war, daß eine bewaffnete Eskorte den Ausschuß begleiten solle, gingen alle mit großem Mut hinunter. Unten ließen sie nur einige Mann zurück; sie selbst umgaben sich mit etwa dreißig Nationalgardisten, dann wagten sie sich in die schlafende Stadt. Nur der Mond, der flach über die Dächer glitt, ließ die Schatten länger werden und langsam weiterrücken. Die Männer schritten vergebens von Tor zu Tor die Wälle ab: der Horizont war wie vermauert; sie sahen nichts, sie hörten nichts. Die Nationalgardisten an den verschiedenen Stadttoren sagten ihnen allerdings, daß ein eigentümliches Sausen vom Lande her über die geschlossenen Torflügel komme. Sie spitzten die Ohren, ohne etwas anderes zu vernehmen als ein fernes Rauschen, in dem Granoux das Lärmen der Viorne zu erkennen behauptete.
    Trotzdem blieben sie unruhig. Sie waren im Begriff, zum Bürgermeisteramt zurückzukehren, immer noch recht beklommen, obwohl sie zum Schein mit den Achseln zuckten und Roudier einen Hasenfuß und Gespensterseher schalten, als Rougon, dem sehr daran gelegen war, seine Freunde völlig zu beruhigen, auf den Gedanken kam, ihnen einen meilenweiten Ausblick auf die Ebene zu verschaffen. Er führte die kleine Schar in das SaintMarcViertel und klopfte am Herrenhaus der Valqueyras an.
    Der Graf war bei den ersten Unruhen auf sein Schloß Corbière gegangen. Im Haus war nur der Marquis de Carnavant anwesend. Seit dem gestrigen Tage hatte er sich vorsichtig abseits gehalten, nicht etwa aus Furcht, sondern weil es ihm gegen den Strich gegangen wäre, wenn man im entscheidenden Augenblick gesehen hätte, daß er in die Machenschaften der Rougons verwickelt war. Im Grunde aber verzehrte ihn die Neugier; er hatte sich einschließen müssen, um nicht in den gelben Salon zu laufen und sich das erstaunliche Schauspiel seiner Ränke zu verschaffen. Als ihm ein Kammerdiener mitten in der Nacht meldete, daß

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