Das Glück der Familie Rougon - 1
Nationalgardistenuniform ihres Gatten bei sich. Sie sah übrigens nur einige Männer, die in der Wachtstube schliefen wie die Murmeltiere. Der Pförtner, der mit der Verpflegung des Gefangenen beauftragt war, ging hinauf, um ihr das Ankleidezimmer, das jetzt in eine Gefängniszelle umgewandelt war, aufzuschließen. Dann ging er ruhig wieder nach unten.
Macquart war seit zwei Tagen und zwei Nächten in dem Raum eingesperrt. Er hatte hier Zeit gehabt, lange Betrachtungen anzustellen. Nachdem er sich ausgeschlafen hatte, gab er sich in den ersten Stunden seinem Zorn, seiner ohnmächtigen Wut hin. Bei dem Gedanken, daß sich sein Bruder im Nebenzimmer breitmachte, hätte er am liebsten die Tür eingeschlagen. Und er nahm sich vor, ihn mit seinen eigenen Händen zu erwürgen, wenn die Aufständischen kämen und ihn befreiten. Doch abends in der Dämmerung beruhigte er sich und hörte auf, wütend in dem engen Raum hin und her zu laufen. Er atmete da einen süßen Duft ein, ein Gefühl von Behagen, das seine Nerven beruhigte. Herr Garçonnet, der sehr reich, verwöhnt und eitel war, hatte dieses kleine Gemach recht elegant einrichten lassen: das Ruhebett war weich und warm; Parfüms, Pomaden und Seifen zierten den Marmorwaschtisch, und das matter werdende Tageslicht fiel weich und wollüstig von der Decke herab wie der Schein einer Alkovenampel. In der faden, nach Moschus duftenden, betäubenden Luft, die in Ankleidezimmern zurückzubleiben pflegt, schlief Macquart in Gedanken an diese Teufel von reichen Leuten ein, die »eben doch recht gut dran waren«. Er hatte sich in eine Decke gehüllt, die man ihm gegeben hatte. Bis zum Morgen lag er dort, Kopf, Rücken und Arme in die Kissen vergraben. Als er die Augen aufmachte, glitt ein dünner Sonnenstrahl durch das Oberlicht. Er verließ das Ruhebett nicht. Ihm war warm; er überlegte, während er um sich blickte. Er sagte sich, daß er niemals solch ein Eckchen haben würde, um sich herzurichten. Namentlich der Waschtisch tat es ihm an; es sei nicht schwierig, dachte er, sich mit so vielen kleinen Töpfchen und Fläschchen sauberzuhalten. Das führte ihn zu bitteren Betrachtungen über sein verfehltes Leben. Es kam ihm der Gedanke, daß er vielleicht einen falschen Weg eingeschlagen habe: man gewinnt nichts, wenn man sich mit Bettlern einläßt; er hätte nicht böse werden, sondern sich mit den Rougons verständigen sollen. Dann verwarf er diesen Gedanken. Die Rougons waren Verbrecher, die ihn bestohlen hatten. Doch die Wärme und die gute Polsterung des Ruhebetts besänftigten ihn weiter und riefen eine unbestimmte Reue in ihm wach. Schließlich ließen die Aufständischen ihn ja im Stich; sie ließen sich wie Schwachsinnige überwältigen. Zuletzt kam er zu dem Schluß, daß die Republik ein Schwindel sei. Diese Rougons hatten Glück. Und er erinnerte sich seiner nutzlosen Bosheiten, seines heimlichen Kampfes; niemand in der ganzen Familie hatte ihm geholfen: weder Aristide noch Silvères Bruder, noch Silvère selber, der so blöde war, sich für die Republikaner zu begeistern, und der es niemals zu etwas bringen würde. Seine, Macquarts, Frau war jetzt tot, seine Kinder hatten ihn verlassen; er würde ganz einsam zugrunde gehen, in irgendeinem Winkel, ohne einen Sou, wie ein Hund. Er hätte sich wahrhaftig der Reaktion verkaufen sollen. Bei diesen Überlegungen schielte er nach dem Waschtisch und verspürte große Lust, sich die Hände mit einem gewissen Seifenpulver zu waschen, das in einem Kristallbehälter aufbewahrt war. Macquart hatte wie alle Nichtstuer, die von einer Frau oder von ihren Kindern ernährt werden, einen Geschmack wie ein Frisör. Wenn er auch geflickte Hosen trug, so liebte er es doch, sich mit wohlriechenden Ölen zu überschütten. Er saß stundenlang bei seinem Barbier, bei dem politisiert wurde und der ihm zwischen zwei Diskussionen mit dem Kamm durch die Haare fuhr. Die Versuchung wurde allzu stark, Macquart stellte sich vor den Waschtisch. Er wusch sich die Hände, das Gesicht; er frisierte sich, parfümierte sich, machte vollständige Toilette. Er benutzte alle Fläschchen, alle Seifen, sämtliche Puder. Sein größter Genuß aber war, sich mit den Handtüchern des Bürgermeisters abzutrocknen, die waren weich und dick. Er drückte sein nasses Gesicht hinein und sog voll Glück alle Düfte des Reichtums ein. Als er sich dann pomadisiert hatte, als er von Kopf bis Fuß gut roch, streckte er sich wieder auf dem Ruhebett aus, verjüngt und zu
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