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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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wieder einnehmen.«
    Macquart konnte eine tiefe Überraschung nicht verbergen. Er begriff die Sache nicht.
    »Ich glaubte doch, ihr seid die Sieger?« sagte er.
    »Ach, ich habe jetzt keine Zeit, Ihnen alles zu erzählen«, antwortete die Alte etwas ungeduldig. »Nehmen Sie an oder nehmen Sie nicht an?«
    »Nun, ich nehme nicht an, nein … Ich will mir das überlegen. Für tausend Francs vielleicht ein Vermögen aufs Spiel zu setzen wäre schön dumm von mir.«
    Félicité stand auf.
    »Wie Sie wollen, mein Lieber«, sprach sie kalt. »Wirklich, Sie sind sich über Ihre Lage nicht im klaren. Sie sind zu mir gekommen, um mich eine alte Gaunerin zu schimpfen, und wenn ich die Güte habe, Ihnen die Hand zu reichen, um Sie aus der Grube herauszuziehen, in die Sie in Ihrer Dummheit gefallen sind, dann machen Sie Schwierigkeiten und wollen sich nicht retten lassen. Gut, bleiben Sie hier, warten Sie, bis die Behörden zurückkehren. Ich wasche meine Hände in Unschuld.« Sie war schon an der Tür.
    »Aber geben Sie mir doch ein paar Erklärungen«, bat er dringend. »Ich kann doch keinen Handel mit Ihnen abschließen, ohne Bescheid zu wissen. Seit zwei Tagen weiß ich nicht, was draußen vorgeht. Kann ich denn wissen, ob Sie mich nicht betrügen?«
    »Sehen Sie, Sie sind ein Einfaltspinsel«, entgegnete Félicité, von Antoines Herzensschrei zum Bleiben veranlaßt. »Sie tun sehr unrecht daran, sich nicht blindlings auf unsere Seite zu stellen. Tausend Francs sind eine hübsche Summe, und man riskiert sie nur für eine sichere Sache. Nehmen Sie an! Ich rate es Ihnen.«
    Er zögerte immer noch.
    »Wird man uns denn ruhig einziehen lassen, wenn wir das Rathaus einnehmen wollen?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte sie mit einem Lächeln, »vielleicht wird es eine Schießerei geben.«
    Er sah sie fest an.
    »Aber sagen Sie doch, Mütterchen«, fuhr er mit rauher Stimme fort, »Sie haben doch nicht etwa die Absicht, mir eine Kugel durch den Kopf jagen zu lassen?«
    Félicité wurde rot. Tatsächlich dachte sie gerade, daß eine Kugel beim Angriff auf die Bürgermeisterei ihnen einen großen Dienst erweisen und sie von Antoine befreien könnte. Das hieße tausend Francs sparen. Deshalb wurde sie ärgerlich und murmelte:
    »Was für eine Idee! – Es ist wirklich schrecklich, solche Gedanken zu haben.« Dann, plötzlich ruhiger geworden: »Nehmen Sie an? – Sie haben jetzt verstanden, nicht wahr?«
    Macquart hatte vollkommen verstanden. Was man ihm da vorschlug, war eine Falle. Er sah weder die Beweggründe dazu noch die Folgen, und das veranlaßte ihn, zu feilschen. Nachdem er von der Republik gesprochen hatte wie von einer Geliebten, die er zu seinem Kummer nicht mehr lieben könne, strich er die Gefahren heraus, die ihm bevorständen, und verlangte schließlich zweitausend Francs. Aber Félicité blieb fest. Und sie unterhandelten so lange, bis ihm Félicité für den Zeitpunkt seiner Rückkehr nach Frankreich eine Stellung versprach, in der er nichts zu tun brauchte, die ihm aber viel einbrächte. Daraufhin wurde der Handel abgeschlossen. Sie ließ ihn die Nationalgardistenuniform anziehen, die sie mitgebracht hatte. Er sollte sich in aller Ruhe bei Tante Dide verbergen, dann gegen Mitternacht alle Republikaner, die ihm in den Weg liefen, auf den Rathausplatz führen und ihnen versichern, daß das Gebäude leer sei und man nur die Tür aufzustoßen brauche, um sich seiner zu bemächtigen. Antoine verlangte Handgeld und erhielt zweihundert Francs. Félicité verpflichtete sich, ihm die restlichen achthundert Francs am nächsten Tage auszuzahlen. Die Rougons riskierten damit ihr letztes verfügbares Geld.
    Als Félicité wieder unten war, hielt sie sich einen Augenblick auf dem Platz auf, um Macquart herauskommen zu sehen. Er ging ruhig am Posten vorbei und schneuzte sich. Mit einem Faustschlag hatte er die Oberlichtscheibe des Ankleidezimmers zertrümmert, damit man glauben sollte, dort sei er entkommen.
    »Die Sache ist abgemacht«, berichtete Félicité beim Nachhausekommen ihrem Mann. »Für Mitternacht. Mir macht es nichts mehr aus. Am liebsten sähe ich sie alle erschossen. Wie sind sie gestern auf der Straße über uns hergezogen!«
    »Du warst schön dumm, so zu zögern«, antwortete Pierre, der sich gerade rasierte. »Jeder würde an unserer Stelle so handeln.«
    An diesem Morgen – es war Mittwoch – machte Rougon besonders sorgfältig Toilette. Seine Frau kämmte ihn und band ihm den Krawattenknoten. Sie drehte ihn

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