Das Glück der Familie Rougon - 1
Nacht sank herab; der Himmel, der schon seit dem Morgen bedeckt war, hatte einen eigenartig gelben Schein, der die Stadt in ein fahles Licht tauchte, ähnlich dem Kupferschimmer, mit dem sich Gewitter ankünden. Der Empfang seitens der Einwohner war zurückhaltend; die Soldaten, die noch blutbefleckt, müde und schweigend in der trüben Dämmerung vorbeizogen, widerten die sauberen Kleinbürger des Cours Sauvaire an, und diese feinen Herren zogen sich zurück und flüsterten einander Schauergeschichten von Erschießungen und grausamen Vergeltungen ins Ohr, deren Andenken im Lande lebendig geblieben ist. Es begann der Schrecken, den der Staatsstreich verbreitete, ein wahnsinniger, niederdrückender Schrecken, in dem der Süden lange Monate hindurch zitterte. In seinem Entsetzen und seinem Haß gegen die Aufständischen hatte Plassans die Truppe bei ihrem ersten Durchzug mit Begeisterungsrufen empfangen können, aber jetzt, angesichts dieses finster dreinschauenden Regiments, das auf ein Wort seines Befehlshabers Feuer gab, fragten sich sogar die Rentiers und die Notare der Neustadt angstvoll, ob sie nicht vielleicht irgendeine kleine politische Sünde begangen hätten, die sie vor die Gewehrläufe bringen könnte.
Tags zuvor waren in zwei Mietwagen aus Sainte Roure die Behörden zurückgekehrt. Ihre unvorhergesehene Ankunft war keineswegs ein Triumphzug gewesen. Rougon überließ dem Bürgermeister ohne großes Bedauern wieder seinen Amtssessel. Der Streich war gespielt; er erwartete mit Ungeduld aus Paris die Belohnung für seinen Bürgersinn. Am Sonntag – er hatte erst für den folgenden Morgen Nachricht erwartet – erhielt er einen Brief von Eugène. Félicité war schon seit Donnerstag darauf bedacht, ihrem Sohn die Nummern der »Gazette« und des »Indépendant« zu schicken, die in einer zweiten Ausgabe von der nächtlichen Schlacht und der Ankunft des Präfekten berichtet hatten. Eugène antwortete postwendend, daß die Ernennung seines Vaters zum Steuerdirektor bevorstehe; er wolle ihm aber sofort eine gute Nachricht übermitteln: Soeben habe er für ihn das Band der Ehrenlegion64 durchgesetzt. Félicité weinte vor Freude. Ihr Mann ordengeschmückt! So weit waren nicht einmal ihre stolzesten Träume gegangen. Blaß vor Glück sagte Rougon, man müsse noch am selben Abend ein großes Essen geben. Er rechnete nicht mehr, er würde dem Volk aus beiden Fenstern des gelben Salons seine letzten Fünffrancsstücke zugeworfen haben, um diesen schönen Tag zu feiern.
»Hör mal«, sprach er zu seiner Frau, »du mußt Sicardot einladen; lange genug hat der mich schon mit seiner Rosette geärgert! Dann Granoux und Roudier, die ich nicht ungern fühlen lassen möchte, daß ihr dicker Geldbeutel ihnen niemals zum Kreuz der Ehrenlegion verhelfen wird. Vuillet ist zwar ein Wucherer, aber der Triumph muß vollständig sein, benachrichtige ihn, ebenso wie die übrige Bande … Was ich noch sagen wollte, den Marquis mußt du persönlich bitten; wir setzen ihn zu deiner Rechten, er wird sich an unserem Tisch sehr gut ausnehmen. Du weißt, daß Herr Garçonnet den Oberst und den Präfekten zu Gast hat. Damit will er mir zu verstehen geben, daß ich nichts mehr bin. Ich pfeife auf sein Bürgermeisteramt; das bringt ihm keinen Sou ein! Er hat mich eingeladen, aber ich werde ihm sagen, daß ich selber Gäste habe. Du wirst morgen ihr gezwungenes Lächeln sehen … Und daß du mir nicht sparst! Laß alles aus dem Hotel de Provence kommen. Wir müssen das Diner des Bürgermeisters ausstechen.«
Félicité machte sich auf die Beine. Pierre verspürte trotz seines Entzückens noch ein leichtes Unbehagen. Der Staatsstreich würde seine Schulden bezahlen, sein Sohn Aristide würde seine Fehler bereuen, und er selber würde endlich Macquart loswerden; aber er fürchtete, sein Sohn Pascal könnte irgendeine Dummheit begehen, und vor allem war er sehr beunruhigt darüber, was mit Silvère geschehen sein mochte. Nicht, daß er ihn im geringsten bedauert hätte: er war sich nur nicht sicher, ob die Sache mit dem Gendarmen nicht vor Gericht käme. Ach, hätte ihn doch eine gescheite Kugel von diesem kleinen Bösewicht befreit! Wie seine Frau schon am Morgen zu ihm bemerkt hatte, waren die Hindernisse vor ihm gefallen; die Familie, die ihm Schande zu machen pflegte, hatte im letzten Augenblick zu seiner Erhebung beigetragen; endlich bezahlten seine Söhne, Eugène und Aristide, diese Verschwender, um deren Schulgeld es ihm so bitter leid
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