Das Glück der Familie Rougon - 1
Taschentücher, die Männer umarmten einander, manche nahmen sich bei der Hand und fingen an zu tanzen. Fassungslos blieb er stehen, begriff nicht mehr, fühlte, wie ihm schwindlig wurde. Das große, leere, stille Rathaus um ihn erfüllte ihn mit Entsetzen.
Als Rougon später alles Félicité berichtete, wußte er nicht zu sagen, wie lange diese Folterqual gedauert hatte. Er erinnerte sich nur, daß ihn das Geräusch von Schritten, die in den großen Sälen widerhallten, aus seiner Erstarrung gerissen hatte. Er erwartete mit Sensen und Knüppeln bewaffnete Männer in Kitteln, aber was bei ihm eintrat, war der Magistratsausschuß, korrekt, im schwarzen Rock und glückstrahlenden Gesichts. Keines der Mitglieder fehlte. Eine glückliche Nachricht hatte all diese Herren gleichzeitig gesund gemacht. Granoux stürzte sich in die Arme seines verehrten Präsidenten. »Die Soldaten!« stammelte er. »Die Soldaten!«
Tatsächlich war soeben ein Regiment unter dem Oberbefehl von Oberst Masson und von Herrn de Blériot, dem Präfekten des Departements, eingerückt. Die Gewehre, die man von den Wällen aus hinten in der Ebene gesehen, hatten zunächst den Glauben an das Nahen der Aufständischen aufkommen lassen. Rougons Erregung war jetzt so stark, daß ihm zwei dicke Tränen über die Backen rannen. Er weinte, der große Mitbürger! Der Magistratsausschuß sah mit ehrfurchtsvoller Bewunderung diese Tränen fallen. Aber Granoux umarmte seinen Freund von neuem und rief: »Ach, wie glücklich bin ich! – Sie wissen, ich bin ein aufrichtiger Mensch. Nun denn, wir hatten alle Angst, alle, nicht wahr, meine Herren? Sie allein waren groß, mutig, erhaben! Welche Willenskraft haben Sie aufbringen müssen! Soeben habe ich zu meiner Frau gesagt: Rougon ist ein großer Mann; er verdient eine Auszeichnung.«
Dann sprachen die Herren davon, gemeinsam dem Präfekten entgegenzugehen. Rougon, der ganz benommen und fassungslos war und kaum an diesen plötzlichen Triumph zu glauben vermochte, stammelte wie ein Kind. Dann kam er wieder zu sich und ging ruhig und mit der Würde, die diese feierliche Gelegenheit erheischte, hinunter. Aber die Begeisterung, die den Ausschuß und seinen Präsidenten auf dem Rathausplatz empfing, hätte seine obrigkeitliche Würde beinahe wieder erschüttert. Sein Name wanderte von Mund zu Mund, diesmal von den wärmsten Lobsprüchen begleitet. Er hörte, wie ein ganzes Volk Granoux˜ Bekenntnis wiederholte und ihn als den einzigen Helden pries, der inmitten des Entsetzens aufrecht und unerschütterlich geblieben war. Und auf dem ganzen Weg bis zur Unterpräfektur, wo der Ausschuß mit dem Präsidenten zusammentraf, trank er seine Volkstümlichkeit und seinen Ruhm mit den heimlichen Wonneschauern einer verliebten Frau, deren Verlangen endlich Befriedigung findet.
Herr de Blériot und Oberst Masson waren allein in die Stadt gekommen und ließen unterdessen die Truppe auf der Straße nach Lyon lagern. Sie hatten ziemlich viel Zeit verloren, da sie über die Marschroute der Aufständischen falsch unterrichtet worden waren. Zudem wußten sie dieselben jetzt in Orchères und durften sich deshalb nur eine Stunde in Plassans aufhalten, gerade lange genug, um die Bevölkerung zu beruhigen und die grausamen Verfügungen bekanntzugeben, die die Beschlagnahme allen Eigentums der Aufständischen anordneten und die Todesstrafe für jeden, der mit der Waffe in der Hand angetroffen wurde.
Um Oberst Massons Lippen spielte ein Lächeln, als der Kommandant der Nationalgarde an der Porte de Rome unter einem fürchterlichen Gerassel verrosteten Eisens die Riegel zurückschieben ließ. Die Wachtmannschaft gab dem Präfekten und dem Oberst das Ehrengeleit. Den ganzen Cours Sauvaire entlang sang Roudier den Herren das Lied von dem Helden Rougon, von den drei Schreckenstagen, die mit dem glänzenden Sieg der vergangenen Nacht ihr Ende gefunden hatten. Als nun die beiden Züge einander gegenüberstanden, ging Herr de Blériot lebhaft auf den Präsidenten des Ausschusses zu, schüttelte ihm beide Hände, beglückwünschte ihn und bat ihn, noch bis zur Rückkehr der Obrigkeit über die Stadt zu wachen. Und Rougon verneigte sich, während der Präfekt, als man am Eingang zur Unterpräfektur angelangt war, wo er einen Augenblick auszuruhen wünschte, mit lauter Stimme verkündete, er werde nicht verfehlen, in seinem Bericht das herrliche und tapfere Verhalten Rougons zu erwähnen.
Trotz der scharfen Kälte stand jetzt alles an den
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