Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
Fenstern. Félicité, die sich so weit aus dem ihrigen lehnte, daß sie fast hinausgefallen wäre, war ganz blaß vor Freude. Soeben war Aristide mit einer Nummer des »Indépendant« zu ihr gekommen, in der er sich ohne Umschweife zugunsten des Staatsstreiches ausgesprochen hatte, den er »als das Morgenrot der Freiheit in der Ordnung und der Ordnung in der Freiheit« begrüßte. Und er hatte eine zarte Anspielung auf den gelben Salon einfließen lassen, indem er seine Irrtümer zugab und sagte: »Die Jugend ist vermessen« und »Die großen Mitbürger schweigen, überlegen im stillen und lassen die Beleidigungen über sich ergehen, um sich am Tage des Kampfes um so erhabener in ihrem Heldentum zu zeigen«. Namentlich mit diesem letzten Satz war er sehr zufrieden. Seine Mutter fand den Artikel hervorragend abgefaßt. Sie umarmte ihren geliebten Jungen und ließ ihn zu ihrer Rechten stehen. Der Marquis de Carnavant, seiner freiwilligen Haft müde und von rasender Neugier gepackt, war ebenfalls gekommen, um Félicité zu besuchen, und stützte sich zur Linken auf die Fensterbrüstung.
    Als Herr de Blériot unten auf dem Platz Rougon die Hand schüttelte, weinte Félicité.
    »Ach, sieh nur, sieh!« sagte sie zu Aristide. »Er hat ihm die Hand gedrückt! Schau, er gibt sie ihm nochmals!« Und mit einem Blick auf die Fenster, wo sich die Köpfe übereinanderdrängten: »Was die Leute für eine Wut haben müssen! Sieh dir nur Herrn Peirottes Frau an; sie beißt in ihr Taschentuch. Und dahinten die Töchter des Notars und Frau Massicot und die Familie Brunet. Was die für Gesichter machen, was? Wie ihre Nasen lang werden! – Ja, ja, jetzt sind wir dran.«
    Mit Entzückensausbrüchen und Gezappel, wovon ihr ganzes heißblütiges Zikadenkörperchen geschüttelt wurde, verfolgte sie die Szene, die sich unter dem Torbogen der Unterpräfektur abspielte. Sie deutete sich die kleinsten Bewegungen aus; sie erfand die Worte, die sie nicht auffangen konnte; sie meinte, Pierre grüße sehr würdig. Einen Augenblick wurde sie verstimmt, als der Präfekt dem armen Granoux ein anerkennendes Wort gönnte, der schon die ganze Zeit um ihn herumstrich und auf ein Lob wartete; sicher kannte Herr de Blériot bereits die Geschichte mit dem Hammer, denn der ehemalige Mandelhändler errötete wie ein junges Mädchen und schien zu sagen, er habe nur seine Pflicht erfüllt. Aber mehr noch ärgerte sie sich über die allzu große Güte ihres Gatten, der Vuillet den Herren vorstellte; Vuillet hatte sich freilich dazwischengedrängt, so daß sich Rougon gezwungen sah, ihn zu nennen.
    »So ein Schleicher!« murmelte Félicité. »Überall drängt er sich ein … Mein armer Schatz muß ganz verwirrt sein! – Jetzt spricht der Oberst mit ihm, was mag er ihm sagen?«
    »Nun, Kleine«, meinte mit feinem Spott der Marquis, »er wird ihn dazu beglückwünschen, daß er so sorgfältig die Tore verriegeln ließ.«
    »Mein Vater hat die Stadt gerettet«, sagte Aristide trocken. »Haben Sie die Leichen gesehen, Herr de Carnavant?«
    Der gab keine Antwort. Er trat sogar vom Fenster zurück und setzte sich kopfschüttelnd und mit leicht angeekelter Miene in einen Sessel. Gerade in diesem Augenblick – der Präfekt hatte den Platz draußen verlassen – kam Rougon angerannt und fiel seiner Frau um den Hals.
    »Ach, meine Gute!« stammelte er.
    Mehr vermochte er nicht zu sagen. Félicité hieß ihn auch Aristide umarmen und erzählte ihm von dem großartigen Artikel im »Indépendant«. Pierre hätte, gerührt wie er war, auch Herrn de Carnavant auf die Backen geküßt, doch seine Frau zog ihn beiseite und gab ihm den Brief von Eugène, den sie wieder in den Umschlag gesteckt hatte. Sie tat so, als sei er soeben erst gebracht worden. Pierre las ihn und reichte ihn ihr dann triumphierend.
    »Du bist die reinste Zauberin«, sagte er lachend zu ihr. »Du hast alles im voraus erraten. Oh, was für eine Torheit ich ohne dich begangen hätte! Von jetzt ab werden wir unsern ganzen Kram gemeinsam machen. Gib mir einen Kuß, du bist eine tapfere Frau!«
    Er schloß sie in die Arme, während sie mit dem Marquis ein heimliches Lächeln tauschte.

VII
    Erst am Sonntag, zwei Tage nach dem Gemetzel von SainteRoure, zogen die Truppen wieder an Plassans vorbei. Der Präfekt und der Oberst, die Herr Garçonnet zum Essen eingeladen hatte, kamen allein in die Stadt. Die Soldaten gingen außen um die Wälle und schlugen ihr Lager in der Vorstadt auf, an der Straße nach Nizza. Die

Weitere Kostenlose Bücher