Das Glück der Familie Rougon - 1
Herr im Hause. Das Anwesen der Fouques war, wenn auch nicht rechtlich, so doch tatsächlich in seinem Besitz. Nie hatte er die Absicht gehabt, sich hier niederzulassen. Es war ein für seinen Ehrgeiz zu enges Feld. Den Boden zu bebauen, Gemüse zu ziehen, erschien ihm als grobe Arbeit und seiner Fähigkeiten unwürdig. Es drängte ihn, aus dem Bauernstande herauszukommen. Seine Natur, durch die nervöse Veranlagung der Mutter verfeinert, empfand ein unwiderstehliches Verlangen nach bürgerlichen Genüssen. Darum hatte er in all seinen Plänen den Verkauf des Fouqueschen Anwesens als Lösung betrachtet. Dieser Verkauf mußte ihm ein hübsches Stück Geld einbringen und ihn dadurch in den Stand setzen, die Tochter irgendeines Kaufmanns zu heiraten, der ihn daraufhin zum Teilhaber machen würde. Gerade zu dieser Zeit lichteten die Feldzüge des Ersten Kaiserreiches empfindlich die Reihen der heiratsfähigen Männer. Die Eltern zeigten sich weniger schwierig bei der Wahl eines Schwiegersohns. Pierre meinte, das Geld werde alles ausgleichen und über die Vorstadtklatschereien werde man leicht hinweggehen; er wollte sich als Opfer hinstellen, als Ehrenmann, der unter der Schande seiner Familie leidet und sie beklagt, der aber selber davon unberührt geblieben ist und sie nicht entschuldigt. Seit mehreren Monaten hatte er ein Auge auf Félicité Puech, die Tochter eines Ölhändlers, geworfen. Die Firma Puech & Lacamp, deren Lagerräume in einem der dunkelsten Gäßchen der Altstadt lagen, war keineswegs ein blühendes Geschäft. Sie genoß am Ort einen recht zweifelhaften Kredit; man munkelte von einem bevorstehenden Bankrott. Gerade im Hinblick auf diese Gerüchte fuhr Rougon hier sein Geschütz auf. Niemals würde ein wohlhabender Kaufmann ihm seine Tochter gegeben haben. Er beabsichtigte, gerade dann in Erscheinung zu treten, wenn der alte Puech nicht mehr aus noch ein wüßte, ihm Félicité abzukaufen und in der Folge die Firma durch seinen Verstand und seine Tatkraft wieder in die Höhe zu bringen. Das war eine schlaue Art, eine höhere Sprosse zu erklettern, sich um eine Stufe über den eigenen Stand zu erheben. Vor allem wollte er aus dieser schrecklichen Vorstadt herauskommen, wo man über seine Familie tratschte, wollte das schmutzige Gerede in Vergessenheit bringen, indem er sogar den Namen des Fouqueschen Anwesens auslöschte. Darum erschienen ihm die übelriechenden Gassen der Altstadt wie ein Paradies. Nur dort konnte er ein neues Leben beginnen.
Bald kam der Augenblick, auf den er gelauert hatte. Die Firma Puech & Lacamp lag in den letzten Zügen. Jetzt verhandelte der junge Mann mit kluger Geschicklichkeit wegen seiner Heirat. Er wurde willkommen geheißen, wenn auch nicht als Retter, so doch als notwendiger und annehmbarer Ausweg. Als die Heirat beschlossen war, befaßte er sich energisch mit dem Verkauf des Grundstücks. Der Eigentümer des JasMeiffren, der seinen Besitz gern abrunden wollte, hatte ihm schon wiederholt Angebote gemacht; nur eine niedrige und schmale Mauer trennte die beiden Anwesen voneinander. Pierre gründete seine Berechnungen auf den Wunsch des Nachbarn, eines schwerreichen Mannes, der, um eine Laune zu befriedigen, so weit ging, ihm fünfzigtausend Francs für sein Anwesen zu geben. Das hieß, es in der doppelten Höhe seines Wertes bezahlen. Zudem ließ sich Pierre mit der Schlauheit eines Bauern mehrmals bitten; er wollte eigentlich nicht verkaufen, sagte er; seine Mutter werde niemals einwilligen, sich von einem Besitztum zu trennen, auf dem die Fouques seit fast zwei Jahrhunderten Generation nach Generation gesessen hatten. Während er so zu zögern schien, bereitete er den Verkauf vor. Es waren ihm Bedenken gekommen. Nach seiner brutalen Logik gehörte das Anwesen ihm, er hatte das Recht, nach Belieben darüber zu verfügen. Auf dem Grunde dieser Zuversichtlichkeit regte sich jedoch eine unbestimmte Ahnung, er könne mit dem Gesetz in Konflikt geraten. So entschloß er sich, hintenherum einen Gerichtsvollzieher aus der Vorstadt zu Rate zu ziehen.
Da erfuhr er nun schöne Dinge. Nach Ansicht des Gerichtsvollziehers waren ihm durchaus die Hände gebunden. Wie er schon vermutet hatte, konnte nur seine Mutter das Anwesen veräußern. Aber was er nicht wußte und was ihn wie ein Keulenschlag traf, war, daß Ursule und Antoine, die unehelichen Kinder, die Wolfsjungen, Anrechte auf dieses Besitztum hatten. Was? Dieses Pack sollte ihn berauben, ihn, den rechtmäßigen Sohn, bestehlen?
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