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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Die Ausführungen des Gerichtsvollziehers waren klar und deutlich: Adélaïde hatte Rougon allerdings unter den Bedingungen der Gütergemeinschaft geheiratet, da aber das gesamte Vermögen in unbeweglichen Gütern bestand, war die junge Frau nach dem Gesetz beim Tode ihres Mannes wieder alleinige Eigentümerin dieses Vermögens geworden; da andererseits Macquart und Adélaïde ihre Kinder anerkannt hatten, waren diese Miterben des mütterlichen Vermögens. Als einzigen Trost erfuhr Pierre, daß das Gesetz den Anteil der unehelichen Kinder zugunsten der ehelichen beschnitt. Ihn aber tröstete das keineswegs. Er wollte das Ganze. Er hätte keine zehn Sous mit Ursule und Antoine geteilt. Dieser kleine Einblick in die Verzwicktheit des Gesetzes erschloß ihm neue Aussichten, die er mit eigentümlich nachdenklicher Miene prüfte. Er begriff schnell, daß ein geschickter Mann das Gesetz immer auf seine Seite bringen muß. Und so fand er, ohne irgend jemanden um Rat anzugehen, nicht einmal den Gerichtsvollzieher, den er nicht stutzig machen wollte, einen Ausweg. Er wußte, daß er über seine Mutter verfügen könnte wie über eine Sache. Eines Morgens führte er sie zu einem Notar und ließ sie einen Verkaufsvertrag unterzeichnen. Wenn man ihr nur ihr Loch in der SaintMittreSackgasse ließ, wäre Adélaïde bereit gewesen, ganz Plassans zu verkaufen. Außerdem sicherte ihr Pierre eine jährliche Rente von sechshundert Francs zu und schwor ihr hoch und heilig, daß er für Bruder und Schwester sorgen werde. Ein solcher Schwur genügte der armen Frau. Sie sagte vor dem Notar her, was der Sohn ihr eingetrichtert hatte. Am folgenden Tag ließ der junge Mann sie eine Quittung unterschreiben, mit der sie anerkannte, daß sie fünfzigtausend Francs als Erlös für das Anwesen erhalten habe. Das war ein Meisterstück – ein Schurkenstreich. Als sich seine Mutter dann wunderte, daß sie ein solches Schriftstück unterschrieben und dabei nicht einen Centime von den fünfzigtausend Francs zu sehen bekommen hatte, begnügte er sich damit, ihr zu sagen, es handle sich um eine bloße Formsache, die keinerlei Folgen nach sich ziehe. Während er das Papier in die Tasche steckte, dachte er: Jetzt können die Wolfsjungen die Abrechnung von mir verlangen. Dann werde ich ihnen sagen, die Alte habe alles durchgebracht. Sie werden niemals wagen, mir den Prozeß zu machen! – Acht Tage später war die Scheidemauer verschwunden, der Pflug hatte die Gemüsebeete umgeackert; wie der junge Rougon es gewünscht hatte, wurde das Fouquesche Anwesen zur Legende. Einige Monate später ließ der Eigentümer des JasMeiffren sogar das alte, halbzerfallene Wohnhaus der Gemüsegärtner abreißen.
    Als Pierre die fünfzigtausend Francs in Händen hatte, heiratete er Félicité Puech unmittelbar nach Ablauf der Aufgebotsfrist. Félicité war eine kleine, dunkle Frau, wie man sie oft in der Provence antrifft. Sie sah aus wie eine jener braunen, dürren, scharf zirpenden Zikaden, die sich beim jähen Auffliegen den Kopf an den Mandelbäumen stoßen. Sie war mager, flachbrüstig, hatte eckige Schultern, das Gesicht eines Steinmarders mit merkwürdig scharfen und ausgeprägten Zügen. Ihr Alter war schwer festzustellen; man hätte sie ebenso für fünfzehn wie für dreißig Jahre halten können, obwohl sie in Wirklichkeit neunzehn zählte, vier Jahre weniger als ihr Mann. Eine katzenhafte Schlauheit lag in ihren schwarzen, engstehenden Augen, die an Bohrlöcher denken ließen. Die Stirn war niedrig und gewölbt; die Nase war an der Wurzel leicht eingedrückt und hatte, wie um besser die Gerüche aufzufangen, stark ausgebuchtete, feine, dünne, zitternde Flügel; die Lippen bildeten einen schmalen, roten Strich, das vorspringende Kinn war durch merkwürdige Vertiefungen mit den Wangen verbunden. Dieses ganze Gesicht einer durchtriebenen Zwergin war die lebendige Maske der Intrige, des unternehmenden, neidischen Ehrgeizes. Bei all ihrer Häßlichkeit besaß Félicité einen persönlichen Reiz, der sie verführerisch machte. Es hieß von ihr, sie könne nach eigenem Belieben hübsch oder häßlich sein. Das hing vielleicht davon ab, wie sie ihr herrliches Haar aufsteckte; noch mehr aber hing es von dem triumphierenden Lächeln ab, das ihren goldbraunen Teint überstrahlte, sobald sie über jemanden zu triumphieren meinte. Unter einem schlechten Stern geboren und ihrer Ansicht nach vom Schicksal benachteiligt, gab sie sich meist damit zufrieden, nur ein häßliches

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